Lord Stonevilles Geheimnis
sie hätte es verdient, dass sich die Früchte ihrer Arbeit gut verheirateten und ihr hübsche Urenkelchen schenkten, und es ärgerte sie, dass keines ihrer Enkelkinder Anstalten machte, ihren Wunsch zu erfüllen.
Sie hatte ein gewisses Recht, so zu empfinden, fand Oliver. Obwohl sie wegen der Brauerei in den Jugendjahren der Geschwister häufig abwesend gewesen war, hatte sie den Jüngeren von ihnen doch die Mutter ersetzt. Und deshalb liebten sie sie abgöttisch.
Er liebte sie auch – wenn er sich nicht gerade mit ihr um Geld stritt.
»Setz dich, Oliver!« Sie sah ihn scharf an. »Du machst mich mit deinem Auf-und-ab-gehen völlig nervös.«
Er blieb stehen, setzte sich aber nicht hin.
Die Großmutter runzelte die Stirn, dann straffte sie die Schultern. »Ich habe eine Entscheidung getroffen, was euch Kinder angeht«, sagte sie, als hingen sie noch am Gängelband. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und fuhr mit strenger Stimme fort: »Es ist höchste Zeit, dass ihr euch häuslich niederlasst. Ich gebe euch ein Jahr Zeit, in dem alles so bleiben kann, wie es ist. Dann werde ich euch den Geldhahn zudrehen, jedem Einzelnen von euch. Und ich werde euch obendrein aus meinem Testament streichen.« Ihre Enkel schnappten entsetzt nach Luft. »Es sei denn …« Sie machte eine effektvolle Pause.
»Was?«, fragte Oliver ungeduldig.
Sie wendete sich ihm zu. »Es sei denn, ich höre Hochzeitsglocken läuten.«
Damit hätte er rechnen müssen. Mit fünfunddreißig war er weit über das Alter hinaus, in dem die meisten Männer von Stand heirateten. Die Großmutter hatte schon oft beklagt, dass es immer noch keinen Titelerben gebe, aber welcher halbwegs vernunftbegabte Mensch legte schon Wert auf den Fortbestand dieser unseligen Linie? Seine Eltern hatten des Geldes wegen geheiratet – mit katastrophalen Folgen. Er hatte nicht vor, diesen Fehler zu wiederholen, wie sehr sich seine finanzielle Lage auch verschlechtern mochte.
Die Großmutter kannte seine Einstellung, und dass sie nun seine Geschwister benutzte, um ihn dazu zu zwingen, nach ihrer Pfeife zu tanzen, war für ihn ein schmerzlicher Verrat.
»Du drohst meinen Geschwistern damit, sie in die Armut zu treiben, nur um dafür zu sorgen, dass ich heirate?«, empörte er sich.
»Das hast du falsch verstanden«, entgegnete sie ruhig. »Ich habe nicht nur von dir gesprochen, sondern von euch allen.« Sie blickte in die Runde. »Ihr alle müsst innerhalb eines Jahres heiraten, sonst könnt ihr euer Erbe abschreiben! Außerdem werde ich meinen Mietvertrag für das Haus in der Stadt auslaufen lassen, in dem ich nur wohne, weil die Mädchen dort sind. Sie werden keine Mitgift bekommen, und ich werde nicht mehr für die Junggesellenwohnungen von Gabe und Jarret und die Unterbringung ihrer Pferde aufkommen. Wenn ihr fünf nicht heiratet, bekommt ihr keine finanzielle Unterstützung mehr von mir. Dann ist Oliver für euch verantwortlich, Oliver ganz allein.«
Oliver stöhnte. Das alte Gut, das er geerbt hatte, war weit davon entfernt, große Gewinne abzuwerfen.
Gabe sprang vom Tisch auf. »Das kannst du nicht tun, Großmutter! Wo sollen die Mädchen dann wohnen? Und wo sollen Jarret und ich wohnen?«
»Hier auf Halstead Hall, schätze ich«, entgegnete sie ohne Anzeichen eines schlechten Gewissens.
Oliver sah sie mürrisch an. »Du weißt sehr gut, dass das unmöglich ist. Ich müsste das Haus erst einmal bewohnbar machen.«
»Gott bewahre!«, warf Jarret sarkastisch ein. »Abgesehen davon kann er seinen Lebensunterhalt immer noch mit den Erträgen des Guts bestreiten. Auch wenn der Rest von uns tut, was du verlangst, muss er sich dir nicht unbedingt fügen, und wenn er sich weigert zu heiraten, sind wir diejenigen, die dafür bestraft werden.«
»So lauten meine Bedingungen«, entgegnete sie ungerührt. »Sie sind nicht verhandelbar, mein Junge.«
Die Großmutter wusste natürlich, dass Oliver seine Geschwister nicht leiden lassen würde, was immer Jarret auch von ihm dachte. Sie hatte schlussendlich einen Weg gefunden, dass ihre Enkel ihre Wünschen erfüllen würden. Sie machte sich ihre tiefe Zuneigung zueinander zunutze, die einzige Konstante in ihrem Leben.
Der Plan war brillant. Geradezu teuflisch. Und er hatte die besten Aussichten auf Erfolg.
Ginge es nur um ihn, würde Oliver ihr vielleicht sagen, sie solle sich zum Teufel scheren, aber er würde seine Schwestern niemals dazu
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