Love is a Miracle
Zeit herumgerannt war, um die Aufmerksamkeit von Mom und Dad auf sich zu lenken, und sich sogar mit Dads Bartschere einen neuen Haarschnitt verpasst hatte.
»Hey!«, sagten Jess und Lissa und umarmten mich. Dann zeigte Jess mir einen orangen Fleck an ihrem Hals und sagte: »Guck mal, was Brian gestern Abend gemacht hat. Sieht man, dass das ein Knutschfleck ist?Und wie findest du die Tönungscreme? Zu orange für mich?«
Seit wann interessierte es Jess, was ich von ihrem Make-up hielt? Oder von ihren Knutschflecken? Davon verstand ich nichts, und das wusste sie so gut wie ich.
Ich nickte.
»Siehst du?«, sagte Lissa. »Ich hab’s dir ja gesagt. Und was sagst du zu meinem Outfit, Meggie?«
Lissa hatte mich auch noch nie gefragt, was ich von ihrem Outfit hielt. Ihre Eltern waren reich, hatten sich in Reardon »zur Ruhe gesetzt«, nachdem sie mit ihrer Computerfirma Millionen gescheffelt hatten. Jetzt machten sie zweimal im Jahr Urlaub in New York, und Lissa kam jedes Mal mit Klamotten zurück, die außer ihr niemand hatte, bis viele Monate später im Target von Derrytown die Billigversionen davon verkauft wurden.
»Sag bloß nichts über ihren Arsch!«, lachte Jess. »Sonst dreht sie durch. Oh, deine Flipflops sind gut.«
»Ja, super«, stimmte Lissa zu. »Wo hast du die her?«
Ich starrte Lissa fassungslos an. War ich jetzt neuerdings für Mode zuständig, oder was? »Die hat Mom mir gekauft«, murmelte ich.
Und nicht nur die Flipflops, sondern auch meine neuen Kickerschuhe, die ich nicht anschauen konnte, obwohl ich selber nicht wusste, warum. Ich warf sie einfach in den Müll. Mom nahm sie wieder heraus, ermahnte mich lächelnd, erst in die Einkaufstüten zu schauen, ehe ich sie wegwarf, und stellte sie in meinen Schrank. Jetzt waren sie auf dem Dach oben.
Ich hatte mir in meinen schlaflosen Nächten ein paar nützliche Tricks ausgedacht, zum Beispiel, dass ich mich auf die Veranda hinunterschwingen konnte, wenn ich aus meinem Fenster kletterte. Ich hatte es noch nie probiert, aber der Gedanke war verlockend.
Außerdem konnte ich meinen überflüssigen Krempel aufs Dach hinaufwerfen, wenn ich wollte. Das hatte ich schon ausprobiert. Die Fußballschuhe lagen bereits oben, und eine Häkeldecke von ein paar ehrenamtlichen Helferinnen im Stauntoner Krankenhaus. Die Decke war in den Farben des Waldes gehalten, in vielen verschiedenen Grüntönen, zur Erinnerung an den »unglaublichen Mut«, den ich bewiesen hatte.
»Also du findest den Farbton okay?«, sagte Jess und zeigte wieder auf ihren Hals.
Und so ging es den ganzen Tag. Jess und Lissa fragten mich wegen jeder Kleinigkeit nach meiner Meinung. Jeder wollte wissen, was ich dachte. Und alle wollten mich begrüßen, mich umarmen, mir sagen, wie froh sie waren, dass ich überlebt hatte. Das war gut gemeint, okay, und ich zwang mich, fröhlich zu sein.
Aber es ging nicht.
Nach der Schule sagte Lissa: »Ruf mich an, wenn du vom Training nach Hause kommst«, und Jess fügte hinzu: »Ja, und mich auch, okay?«
Als ich über den Platz ging, spürte ich die Augen der ganzen Mannschaft auf mir. Dann klatschten sie Beifall und Coach Henson strahlte mich an. Er lächelt sonstnie, runzelt höchstens die Stirn und schnauzt einen an: »Ist das alles, was du draufhast?«
»Nehmt euch ein Beispiel an ihr«, sagte er und zeigte auf mich, als ich mich hinsetzen wollte. »Meggie gibt nicht auf. Hat sie nie getan.«
Und dann klatschten wieder alle. Mir wurde flau im Magen und ich fühlte mich ganz merkwürdig, als ob ich nicht wirklich in meinem Körper wäre.
»Willst du vielleicht mit der Aufwärmrunde anfangen, Meggie?«, sagte der Coach und alle sahen mich erwartungsvoll an. Beobachteten mich.
»Ich … ich kann nicht«, stotterte ich. »Tut mir leid, aber mir ist gerade eingefallen, dass ich zu Hause dringend was erledigen muss.«
Es kostete mich meine ganze Selbstbeherrschung, nicht vom Platz zu stürzen, sondern meinen inneren Aufruhr unter Kontrolle zu halten und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Dabei wäre ich am liebsten gerannt, bis ans Ende der Welt – nur weg von mir selber.
Abends rief der Coach bei mir zu Hause an und ich sagte ihm, dass ich eine Fußballpause brauchte, und legte auf. Mom und Dad »akzeptierten« meine Entscheidung. Mom hatte schon immer gesagt, dass ich alt genug sei, um selber zu entscheiden, aber in Wahrheit akzeptierte sie nur das, was ihr in den Kram passte. Und Dad, na ja, der fand es natürlich toll, dass ich Fußball
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