Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lovecraft, H. P.

Lovecraft, H. P.

Titel: Lovecraft, H. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stadt ohne Namen
Vom Netzwerk:
lebendig waren, aber noch ohne bewußte Intelligenz und nicht einmal neugierig. In einem Anfall verrückter Laune flüsterte ich Fragen in die sich rötenden Ohren, Fragen, andere Welten betreffend, an die die Erinnerung noch gegenwärtig sein könnte.
    Darauffolgende Schrecken verjagten sie aus meinem Gedächtnis, aber ich glaube, die letzte, die ich wiederholte, war: »Wo sind Sie gewesen?« Ich weiß noch immer nicht, ob ich darauf eine Antwort bekam, denn aus dem wohlgeformten Munde drang kein Laut, ich weiß jedoch, daß ich mir in diesem Augenblick fest einbildete, daß die schmalen Lippen sich lautlos bewegten und Silben formten, die ich als »erst jetzt« laut ausgesprochen hätte, wenn dieser Satz Sinn oder Bedeutung gehabt hätte. In diesem Augenblick war ich, wie gesagt, infolge der Überzeugung, daß das große Ziel erreicht sei, in gehobener Stimmung, und daß ein wiedererweckter Leichnam deutlich Worte gesprochen hatte, die von wirklicher Vernunft dirigiert wurden. Im nächsten Moment gab es in bezug auf den Triumph keinen Zweifel mehr, zweifellos hatte die Lösung, zum mindesten vorübergehend, ihre Aufgabe, vernunftgemäß und klar erkennbares Leben in dem Toten wiederherzustellen, voll erfüllt. Aber inmitten des Triumphs überkam mich stärkstes Grauen − nicht Grauen vor dem sprechenden Wesen, sondern Grauen vor der Untat; deren Zeuge ich geworden war, und vor dem Mann, mit dem mein Berufsschicksal mich verband.
    Denn die wirklich frische Leiche, die sich nun endlich zu vollem und schrecklichem Bewußtsein durchrang, warf mit angstgeweiteten Augen, in Erinnerung an das letzte irdische Erlebnis, verzweifelt in einem Kampf auf Leben und Tod, um Luft zu bekommen, die Hände empor und brach in einer zweiten, diesmal endgültigen Auf lösung zusammen, aus der es keine Rückkehr geben konnte, und stieß den Schrei aus, der auf ewig in meinem schmerzenden Gehirn wiederhallen wird:
    »Hilfe! Bleib mir vom Leibe, du verdammtes flachshaariges Scheusal − bleib mir mit deiner Nadel vom Leibe!«
    V Aus dem Schatten steigt das Grauen
    Manche Menschen haben von schrecklichen Dingen erzählt, die nie im Druck erschienen, welche sich auf den Schlachtfeldern des großen Krieges ereigneten.
    Manche dieser Dinge ließen mich schwach werden, bei anderen würgte mich entsetzliche Übelkeit, während wieder andere mich erbeben und im Dunkeln über die Schulter blicken ließen, dennoch glaube ich, mögen diese noch so schlimm sein, das Allerschrecklichste erzählen zu können− das unnatürliche, das unglaubliche Grauen, das aus dem Schatten emporsteigt. Im Jahre 1915 war ich bei einem kanadischen Regiment in Flandern Arzt im Range eines Oberleutnants, einer der vielen Amerikaner, die der Regierung in ihrer Teilnahme am großen Kampf vorangingen. Ich war nicht aus eigenem Antrieb in die Armee eingetreten, sondern eigentlich als selbstverständliche Folge der Anwerbung des Mannes, dessen unentbehrlicher Assistent ich war − des berühmten Bostoner chirurgischen Spezialisten Dr. Herbert West. Dr. West hatte begierig auf eine Chance gewartet, als Militärarzt im großen Krieg dienen können, und als die Chance sich bot, schleppte er mich beinah gegen meinen Willen mit. Es gab Gründe, warum ich froh gewesen wäre, wenn der Krieg uns getrennt hätte, Gründe, aus denen ich die Ausübung des ärztlichen Berufes und Wests Teilhaberschaft immer lästiger fand; aber als er nach Ottawa gezogen war und dank dem Einfluß eines Kollegen einen Arztposten im Rang eines Majors erhielt, konnte ich der zwingenden Überredungskunst eines Mannes, der entschlossen war, daß ich ihn in meiner üblichen Eigenschaft begleiten müsse, nicht widerstehen.
    Wenn ich sage, daß West begierig darauf war, an Schlachten teilzunehmen, will ich damit nicht behaupten, daß er entweder von Natur kriegerisch oder auf die Rettung der Zivilisation bedacht war. Immer eine eiskalte, intellektuelle Maschine: schmächtig, blond, blauäugig und bebrillt: ich glaube, er rümpfte manchmal ob meiner gelegentlichen Kriegsbegeisterung und meiner Kritik an untätiger Neutralität die Nase. Es gab indessen im umkämpften Flandern etwas, das er brauchte, und um es zu erlangen, mußte er ein militärisches Äußeres annehmen. Was er brauchte, war etwas, das nicht viele Menschen brauchen; das aber mit dem Spezialzweig der Medizin, den er im geheimen zu verfolgen sich entschlossen hatte, zusammenhing, in dem er erstaunliche und gelegentlich schreckliche Resultate

Weitere Kostenlose Bücher