Lovecraft, H. P.
erzielt hatte. Es war in der Tat nicht mehr und nicht weniger als der reichliche Nachschub an frisch Gefallenen in allen Stadien der Verstümmelung.
Herbert West benötigte frische Leichen, denn sein Lebenswerk war die Wiedererweckung der Toten. Dieses Werk war seiner eleganten Klientel, die nach seiner Ankunft in Boston so schnell seinen Ruf verbreitet hatte, unbekannt, mir aber nur allzu gut, der ich seit den alten Tagen an der Medizinischen Fakultät der Miskatonic−Universität in Arkham sein engster Freund und einziger Assistent gewesen war. Bereits in diesen Collegetagen hatte er mit seinen schrecklichen Experimenten begonnen, zuerst an kleinen Tieren und dann an menschlichen Leichen, die er sich auf abstoßende Art verschaffte. Es gab eine Lösung, die er in die Venen der toten Geschöpfe injizierte, und sie reagierten auf merkwürdige Weise, wenn sie frisch genug waren. Es hatte ihn viel Mühe gekostet, das richtige Rezept herauszufinden, denn er fand, daß jeder Organtyp ein Stimulans benötigte, das genau auf ihn abgestimmt war. Grauen beschlich ihn, wenn er über seine Teilversager nachdachte; unbeschreibliche Dinge, die auf eine fehlerhafte Lösung oder ungenügend frische Leichen zurückzuführen waren. Eine gewisse Anzahl dieser Versager waren am Leben geblieben − einer befand sich im Irrenhaus, während die anderen verschwunden waren −, und wenn er an vorstellbare, aber praktisch nicht durchzuführende Möglichkeiten dachte, dann erbebte er oft unter seiner üblichen Gelassenheit.
West hatte schnell begriffen, daß absolute Frische das erste Erfordernis für den Gebrauch seiner Versuchsobjekte war, und hatte deshalb zu schrecklichen und ungeheuerlichen Hilfsmitteln beim Leichenraub seine Zuflucht genommen. Im College und in unserer ersten gemeinsamen Praxis in der Fabrikstadt Bol−ton war meine Einstellung ihm gegenüber in der Hauptsache die einer faszinierten Bewunderung gewesen. Aber als seine Methoden kühner wurden, begann nagende Furcht sich einzustellen. Mir gefiel die Art nicht, wie er gesunde, lebende Wesen betrachtete; dann folgte die alpdruckähnliche Sitzung im Kellerlabor, bei der ich erfuhr, daß ein bestimmtes Versuchsobjekt ein lebender Mensch gewesen war, als er es sich beschafft hatte. Es war das erste Mal gewesen, daß er bei einem Leichnam die Fähigkeit zu vernünftigem Denken wiedererweckt hatte, und sein Erfolg, um solch gräßlichen Preis erkauft, hatte ihn völlig gefühllos gemacht.
über seine Methoden in den dazwischenliegenden Jahren möchte ich nicht sprechen. Ich war durch nacktes Angstgefühl an ihn gefesselt und erschaute Dinge, die keine Menschenzunge wiederholen möchte. Nach und nach fand ich Herbert West selbst viel schrecklicher als alles, was er tat − damals dämmerte es mir, daß sein einst normaler wissenschaftlicher Eifer, das Leben zu verlängern, zu einer bloßen morbiden und dämonischen Neugier und einer geheimen Vorliebe für Friedhofsromantik degeneriert war. Sein Interesse wurde zur Sucht für das Abstoßende und scheußlich Anomale; er weidete sich an künstlichen Monstrositäten, die die meisten gesunden Menschen vor Angst und Abscheu würden tot umfallen lassen; er wurde hinter seiner bleichen Intellektualität ein anspruchsvoller Baudelaire des physikalischen Experiments
− ein müder Heliogabal der Gräber.Er begegnete Gefahren, ohne zurückzuweichen, er beging ungerührt Verbrechen. Ich glaube, der Höhepunkt war erreicht, als er seine Meinung bestätigt sah, daß geistig gesundes Leben wiederherstellbar sei, und er hatte neue Welten zu erobern versucht, indem er an der Wiederbelebung einzelner Körperteile experimentierte. Er hatte seltsame und originelle Ideen betreffs der unabhängigen Lebensprozesse organischer Zell− und Nervengewebe, die aus dem natürlichen Körpersystem herausgelöst waren, und er erzielte einige gräßliche Anfangserfolge in Gestalt nie sterbenden, künstlich ernährten Gewebes, das er den beinah ausgebrüteten Eiern eines unbeschreiblichen tropischen Reptils entnommen hatte. Er war aufs äußerste bestrebt, zwei biologische Fragen zu klären − ob ein gewisses Ausmaß an Bewußtsein oder vernunftgemäßer Handlungsweise ohne Gehirn möglich wäre, das vom Nervenstrang der Wirbelsäule und verschiedenen Nervenzentren ausgeht, und zweitens, ob eine Art rein geistiger, unfaßbarer Beziehung abseits des Zellmaterials existieren könne, um die chirurgisch getrennten Teile dessen, was zuvor ein einziger lebender
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