Lügenbeichte
sich noch mal umzudrehen.
7:15
Josi saß neben dem Backofen. Auf der Anrichte standen die letzten vier Muffins. Die Oberflächen war schon ein bisschen eingeschrumpelt. Thomas hatte Kaffee gekocht und rauchte in der Küche. Er lief die ganze Zeit hin und her. Marina nahm nun schon die dritte Aspirin.
»Geh doch bitte raus zum Rauchen!«, sagte sie und fasste sich an die Schläfen, aber Thomas reagierte nicht. Er war völlig in Gedanken vertieft. Josi wurde auch übel von dem Zigarettenrauch. Es war schon lange her, dass ihr Vater in der Wohnung geraucht hatte. Damals, als sie noch klein war, in ihrer alten Wohnung in Charlottenburg, da gab es Momente, wo er sich vergaß und sich im Wohnzimmer oder in der Küche eine Zigarette anzündete. In angespannten Situationen, wenn es Probleme gab wegen der Arbeit oder er sich mit Barbara gestritten hatte oder wenn Robert seine Schreikrämpfe kriegte. Thomas hatte ihn dann irgendwann angeschrien, dass jetzt aber mal Schluss sei, woraufhin sich Robert in einen Schrank verkroch oder sich unterm Bett versteckte. Was hatten sie ihn zu Anfang immer gesucht! Später wussten sie ja, in welchenSituationen er sich verkroch, sogar im Theater, wenn laute Männer auftraten, mit derben Schritten. Dann kauerte er sich unter den Sitz und der ganze Abend war gelaufen. Mama musste danach immer an seinem Bett sitzen bleiben, bis er eingeschlafen war, und Thomas ging in der Küche auf und ab und rauchte. Vielleicht aus Protest, hatte Josi später mal gedacht, weil Barbara sich nur noch um Robert kümmerte. Dabei hätte Papa ihr Robert ja auch mal abnehmen können. Josi hatte sich in solchen Momenten immer ganz elendig gefühlt, klein, wie ein Staubkörnchen, das in der Zugluft herumgewirbelt wird und in einer Bohlenritze verschwindet, ohne dass es irgendjemand bemerkt.
In dieser Zeit hatte Josi angefangen, ihre Eltern beim Vornamen zu nennen, und war – bis auf wenige Ausnahmen – dabei geblieben.
7:42
Josi konnte den Rauch nicht länger ertragen. Sie ging hoch in ihr Zimmer und rief ihre Mutter an.
»Na, du bist ja früh dran, für einen Sonntag«, sagte Barbara verschlafen. »Guten Morgen!«
»Mama, Lou ist weg.«
»Wie bitte?«
Sie hörte, wie Barbara sich im Bett aufsetzte. Dann erzählte sie ihr alles, auch von der Leiche. Dabei fing sie mehr und mehr an zu frieren und konnte immer weniger sagen, so sehr schlotterte sie.
»Josi!«, hörte sie aus dem Handy. »Du gehst jetzt erstmal unter die Dusche und dann ziehst du dir was anderes an, hörst du, und dann isst du einen Happen und trinkst was! In der Zeit telefoniere ich mit Thomas. Und dann sprechen wir uns wieder, okay?«
7:48
Josi befolgte die Anweisungen. Es tat gut, sich aus der Jeans zu pellen, es tat auch gut, warmes Wasser auf den Kopf prasseln zu lassen. Das Zittern hörte davon auf. Sie zog ihre weite Hip-Hop-Hose an, ein frisches Top und ein ärmelloses Hoody. Allein die neuen Sachen auf dem Körper waren eine Wohltat. Als sie die Treppe wieder runterging, hörte sie Thomas mit Barbara telefonieren. Marina lag auf dem Sofa, Arme über das Gesicht verschränkt.
»Ja«, sagte Thomas und noch mal: »Ja. Natürlich sage ich dir Bescheid, wenn er wieder da ist.« Er hatte es mit seiner weichen Stimme gesagt, aber Josi hörte die Anspannung – Barbara hatte sie bestimmt auch gehört. Niemand kannte Thomas so gut wie ihre Mutter.
»Barbara will dich noch mal sprechen.« Thomas gab Josi sein Telefon.
»Hast du geduscht?«
»Ja.«
»Hast du was Frisches angezogen?«
»Ja.«
»Hast du schon was gegessen?«
»Nein.«
»Dann mach das jetzt. Du willst doch fit sein, wenn Lou wiederkommt, oder?«
»Ach Mama …« Jetzt musste Josi wieder weinen. Barbaratröstete sie. Ihre Stimme war wie Salbe auf einem abgeschrammten Knie. Was hätte sie darum gegeben, wenn sie jetzt in ihren Armen liegen könnte.
»Willst du zu mir kommen?«
»Nein, ich muss hierbleiben, bis Lou wieder da ist. Ich kann jetzt nicht weg.«
»Soll ich kommen?«
Josi schniefte und holte tief Luft. »Nein. Es geht schon. Ich ruf dich an.«
»Jederzeit, mein Schatz, hörst du?«
»Ja, Mama.«
»Und jetzt iss erst mal was!«
Josi machte sich ein Brot und trank Kaffee. Die Muffins wollte sie für Lou aufbewahren. Er würde sich sicher darauf freuen, wenn er wiederkam. Es war kein Problem für Lou, vier Muffins zu verdrücken.
8:22
Ihr Handy klingelte. Max.
»Bist du schon wach?«
»Ich habe gar nicht richtig geschlafen.«
»Ich auch nicht.« Sie ging
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