Macabros 051: Skelettus, Fürst der Knochenburg
Haare, Fleisch und Blut lösten sich auf wie unter
einem Säureregen.
Die Menschen verloren ihr ursprüngliches Aussehen – und
als Skelette rannten sie weiter, dumpfe Schreie von sich gebend!
*
Die Knochengestalten liefen direkt auf sie zu.
Sie waren nur noch wenige Schritte von ihr entfernt. Anka
Sörgensen hatte das Gefühl, daß sie umgerannt
würde, wenn sie jetzt nicht selbst die Flucht ergriff.
›Das ist kein Traum!‹ fieberte es in ihrem
aufgewühlten Bewußtsein. ›Ich bin wirklich hier. Ich
bin ein Medium. Ich war immer eines gewesen, aber ich hatte nicht den
Mut, dies näher untersuchen zu lassen. Meine Gedanken
können eine andere Welt aufsuchen… nein, nicht nur meine
Gedanken! Auch mein Körper! Um Himmels willen! Mein Körper
befindet sich nicht mehr im Bett des Krankenzimmers!‹
*
Sie irrte durch eine fremde Welt, war eine Gefangene und hatte nur
den einen Wunsch, nicht unter das Licht des fahlen Totenkopfmondes zu
geraten, um damit das gleiche Schicksal zu erleiden, wie die Bewohner
dieser namenlosen Welt es erdulden mußten.
Der Mond wanderte, lautlos glitt er über den sich düster
verfärbenden Himmel und strahlte sein unheimliches Licht herab,
das die Menschen zu Skeletten werden ließ.
Begonnen hatte das Ganze mit dem Tanz, fortgesetzt hatte es sich
mit der Ankunft der Kahlköpfigen mit der überdimensionalen
Pergamentrolle. Und danach war es Schlag auf Schlag gegangen.
Sie lief eine abschüssige, mit grobem Steinpflaster versehene
Gasse hinab. Links und rechts nahm sie schemenhaft verschwommen
Gebäude wahr, die aus dem gleichen groben Stein bestanden.
Kleine, quadratische Fenster befanden sich in den Wänden.
Die Türen waren hoch und schmal. Und über den Türen
waren dunkle Symbole zu, erkennen, die mit schwarzer Farbe
überstrichen waren. Nicht immer jedoch vermochten die Farbbalken
das zu verbergen, was einst daruntergestanden hatte.
Im Vorüberlaufen nahm sie mechanisch das eine und andere
Symbol wahr, und es kam ihr so vor, als hätten sie große
Ähnlichkeit mit den Zeichen, welche sie auch schon auf dem
riesigen Pergament gesehen hatte.
Dann eine andere Straße, die sich von der ersten
unterschied.
Anka Sörgensen taumelte mehr, als daß sie ging. Ihre
Beine waren bleischwer. Das Licht des schnell über den Himmel
ziehenden Mondes kam gleitend näher und überschüttete
die Dächer der Häuser mit dem Schein des Grauens – und
panische Schreie aus dem Innern der Häuser ließen sie
erschauern. Sie gaben ihr Kenntnis davon, daß sich auch dort
hinter den Mauern Schicksale entschieden.
Die junge Frau stolperte, fiel schwer zu Boden und schlug sich das
Knie auf, das wie Feuer brannte und sofort zu bluten begann.
Anka stöhnte und raffte sich auf, konnte aber nicht auf den
Füßen stehen.
›Ich werde sterben… ich werde so werden wie die
anderen… ich muß weg hier, weit weg!‹ schrie es in
ihr. Sie wollte das, was in ihr vorging, laut bekannt machen, aber
ihre Stimmbänder versagten ihr den Dienst.
Aber da machte sie eine erstaunliche Erfahrung.
Ihre Umgebung veränderte sich.
Das war nicht mehr die Straße, in der sie sich noch eben
befand. Das war eine neue, andere Umgebung.
Gebirgig, unzugänglich und steinig… Anka Sörgensen
kroch auf allen vieren vorwärts und hörte plötzlich
Geräusche, Stimmen und schnelle, hektische Schritte.
Etwa eine Steinwurfweite von ihr entfernt tauchten plötzlich
Gestalten auf.
Menschen, die an Ketten geschmiedet waren.
Sie zogen vorn an ihr vorüber, ohne auf die am Boden liegende
fremde Frau aufmerksam zu werden.
Der Zug der Abgearbeiteten verlor sich in der Düsternis.
Dort öffnete sich ein großes Tor zu einem
unübersehbaren, bizarren und bedrohlich aussehenden Garten, und
Anka Sörgensen vernahm lauschend einen unheimlichen Gesang, in
dem ein Wort immer wiederkehrte:
»Tamuur!«
*
Schwester Ula Maalan hatte Dienst.
Es war verhältnismäßig ruhig auf ihrer
Station.
Sie saß hinter der elektronischen Anlage und konnte von hier
aus Herz, Atmung und Kreislaufsituationen der Patienten
überprüfen, die nach Operationen oder einem Infarkt hierher
verlegt worden waren und ständig überwacht werden
mußten.
Ula Maalan war dreiunddreißig Jahre alt. Seit sechs Jahren
versah sie ihren Dienst und hatte viele Schwerkranke gepflegt,
außergewöhnliche Zwischenfälle erlebt und war so
leicht eigentlich nicht aus der Fassung zu bringen.
Die Werte von zwei Kranken standen auf der Grenze
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