Mach's falsch, und du machst es richtig
wieder richtigliegen, können wir am eigenen Leib erfahren. Peter Brugger hat darauf hingewiesen, als er sich mit den Ursachen und Auswirkungen unseres Hangs zur Esoterik beschäftigte, unter anderem mit Gläubigen, die von der Kraft des Gebets überzeugt sind. Für einen Naturwissenschaftler ist das natürlich irrationaler Firlefanz, die Annahme, man könne mit Gebeten etwas erreichen, haltlos. Im Laufe eines Interviews [23] erzählt er vom Ergebnis einer seiner Studien: Solange nichtreligiöse Menschen keine persönliche Erfahrung mit Krebskranken gemacht hätten, seien sie überaus zuversichtlich, gesund zu bleiben. Sobald sie in Kontakt mit Kranken kämen, sei es jedoch mit ihrem «Optimismus» vorbei. Religiöse Menschen hingegen zeigten nach so einer Begegnung keine Veränderung; sie seien «in ihrem Glauben, dass es ihnen gut geht und dass die Chancen einer Erkrankung sehr gering sind, unerschütterlich». Schuld daran sei das Vertrauen in die Kraft der Gebete und in Gott. Diese Beobachtungen bewegten den Neuropsychologen zu einer interessanten These: Es sei mittlerweile auch aus naturwissenschaftlicher Sicht sinnvoll, darüber nachzudenken, ob die Gläubigen «nicht wirklich einen objektiven Gewinn haben, also gesünder sind». Es gebe weitere Studien, die durchaus in dieselbe Richtung deuteten, sagt Brugger und läßt durchschimmern, daß er sie für plausibel hält.
Mal angenommen, Brugger hat recht, dann manövriert uns das Phänomen der gesunden Gläubigen in eine interessante Situation. Gesund sind sie nämlich aufgrund einer einfachen Regel, die erst einmal allen naturwissenschaftlichen Annahmen zuwiderläuft. Und doch ist diese Regel dazu geeignet, die physische Wirklichkeit dieser Menschen nachhaltig zu beeinflussen. Dieses Phänomen hat natürlich nicht nur Peter Brugger beobachtet, sondern viele andere Wissenschaftler auch. Zum Beispiel jene, die sich mit der Wirkung von Placebos beschäftigt haben. Sie alle kamen zu stets denselben Ergebnissen: Die kleinen, weißen Pillen, die keinen Wirkstoff enthalten, wirken, als enthielten sie einen. Mittlerweile sind die positiven Effekte von Placebos so gut dokumentiert, daß sich sogar der Wissenschaftliche Beirat der deutschen Bundesärztekammer «ausdrücklich dafür ausgesprochen» hat, den Placeboeffekt «gezielter als bisher zu nutzen» [24] . Als Erklärung für die Wirkung von Scheinmedikamenten wird immer wieder auf die Fähigkeit unseres Körpers verwiesen, sich selbst zu heilen. Daran kann es keinen Zweifel geben, wie sonst sollten sie wirken? Die Erklärung greift meines Erachtens aber ein entscheidendes Schrittchen zu kurz. Denn den Anstoß zum naturwissenschaftlich plausiblen Vorgang gibt nicht unser Körper, sondern eine Annahme bzw. eine Regel, die zunächst einmal haltlos ist. Sie lautet: Kleine, weiße Dinger helfen gegen Schmerzen, und die Leute in den weißen Kleidern, die sie mir geben, wissen sehr genau, was sie da tun.
Doch dann kommt der magische Moment, in dem sich die Bewertung der Ausgangslage plötzlich fundamental ändert: Sobald wir einräumen, beten könne unsere Gesundheit stärken bzw. Placebos zum wirksamen Medikament werden, sind unsere Annahmen bzw. Regeln plötzlich
nicht mehr
haltlos – sondern wohlbegründet. Brugger formuliert das folgendermaßen: «So würde das Vorteildenken wieder zum Paradox, denn dann wäre der unrealistische Optimismus gar nicht mehr so unrealistisch.» Das bedeutet: Wir konstruieren eine (erst einmal) rein subjektive Regel (beten hilft, die weißen Dinger helfen), wenden sie an (beten, schlucken sie) und erreichen damit, daß geschieht, was wir uns erhofft haben (wir bleiben gesund, wir werden gesund) – und erreichen damit nicht nur unser Ziel (wider alle naturwissenschaftliche Vernunft), sondern verifizieren rückwirkend unsere (ehedem unbegründeten) Annahmen. So kommt auch der Neuropsychologe nicht umhin festzustellen: «Deshalb kann ich mir theoretisch vorstellen, daß Glauben stärker macht.» Das ist schon allein darum eine plausible Annahme, weil es nicht nur für religiös motivierten Glauben, sondern auch für dessen naturwissenschaftlich begründetes Pendant gilt. So ergab eine Studie der britischen Oxford-Universität [25] , daß Schmerzmittel deutlich weniger stark wirken, wenn die Patienten nichts von ihnen wissen, also keinen Anlaß haben, an sie zu glauben. Zwar hätten die Schmerzen der Probanden nachgelassen, sobald sie eine Infusion bekommen haben, aber erst in dem
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