Macht und Rebel
gebleckten Zähnen auf uns zu. Gott weiß, wie oft ich schon hier gesessen und krampfhaft überlegt habe, ob man jetzt seine Ober- oder seine Unterzähne sieht, wenn er lächelt. Er bringt uns zwei Bier.
»Iss'n das da? Sierra-Leone-Chic?«, frage ich im Versuch, ausnahmsweise mal fresh und lustig zu sein und deute mit gekralltem Mittelfinger (der mich sofort an eine Mini-Salatgurke erinnert, eine Gewürzgurke, eine Anusgurke für einen Zwerg oder einen kleinen Jungen) auf die Verbände an Fottis Handgelenken. »Bist du endlich zur Besinnung gekommen und hast versucht, uns zu verlassen?«
»Einer von den Jungs im Job hat mich umgeschmissen«, sagt Fotti. »Sie haben sich um einen McPork-Burger gekloppt, und der eine hat mich umgeschubst und in die Rippen getreten, als ich versucht hab, sie zu trennen. Beide Handgelenke verstaucht. Die sind echt so was von stark und haben nicht die geringste mentale Bremse, diese Kids«, antwortet Fotti und zieht den Pullover hoch, um mir ihren bandagierten Brustkorb zu zeigen. Ich hebe die Hand und wende mich ab, zum Zeichen, dass ich momentan NICHT am Anblick nackter Haut interessiert bin.
»Mit so einer Gang zu McDonald's gehen, heißt um Anarchie und Gewalt BETTELN«, sagt sie.
Ich mag nichts mehr essen, so im Großen und Ganzen, wobei ich erwähnen sollte, dass ich, wenn ich unbedingt essen müsste , Junkfood essen würde, aber auf Junkfood habe ich noch weniger Scheißlust als auf sonst was, und ich weiß verdammt auch, warum. Ich esse eher gekochten Dorsch als Junkfood. Das ist ziemlich grässlich, denn ich würde lieber Junkfood essen als gekochten Dorsch. Ich kann mich dazu zwingen, zu tun, was ich will, doch offensichtlich nicht dazu, zu wollen, was ich will.
»Wie alt sind die Kids?«, frage ich.
»So dreizehn, vierzehn, fünfzehn«, sagt Fotti.
»Jungs und Mädchen?« »Ja.«
»Alles Problemfälle?«
»Ja, genau wie du«, sagt Fotti.
Sie weiß, dass das nicht stimmt. Ich bin höflich. Ich bin derart beschissen wohlerzogen, dass man sich übergeben möchte. Alles in meinem Leben ist zutiefst kotzharmonisch.
»Damit ist aber bald Schluss«, sage ich. Wir trinken das Bier aus und gehen auseinander. Fotti sagt, sie will noch ins TESCO.
Es scheint technisch unmöglich zu sein, länger als zehn Minuten trockene Füße zu behalten. Was zum Teufel denken die sich eigentlich bei NIKE? Poren. Die müssen anfangen, Schuhe mit Poren zu machen. Schon mal was von Poren gehört? Versucht haben sie's vielleicht, möglich, aber hinbekommen haben sie's nicht. Die Schuhe MÜSSEN verdammt noch mal atmen können, wenn sie brauchbar sein sollen, NIKE sitzt auf dem größten Geldhaufen der Welt und verfügt über Heerscharen von indonesischen Kindergartenkindern als Arbeitskräfte, trotzdem bringen die keine Schuhe zustande, die ATMEN! Fußschweiß? Problem Nummer eins? Nein, haben wir leider nicht lösen können, NIKE Gothic: keine Poren.
Shady- NIKE: keine Poren, NIKE Proffensive: Leider, leider – keine Poren.
So laufe ich mit nassen Füßen weiter und sehe möglichst zu Boden, um jeden Augenkontakt mit den vielen Dutzend anderer Menschen zu vermeiden, die GENAU SO herumlaufen wie ich. Ich kann nichts dafür, aber mich befällt jedes Mal akute Niedergeschlagenheit, wenn ich feststelle, dass es MILLIONEN Leute gibt, die genau so herumlaufen wie ich, die genau so denken wie ich und unter Garantie stinksauer werden, wenn sie Typen wie mich sehen – genau wie ich, wenn ich sie sehe. Wäre ich Kommandant von Bergen-Belsen, dann würde ich meinen eigenen TYPUS, nicht meine Rasse, sondern meinen eigenen scheißöden MenschenTYPUS als ersten in die Gaskammern schicken.
»Hallo, hier ist Fotti.«
»Wie, wir haben doch eben …«
»Ich hab nur gedacht, vielleicht hast du ja Lust, nächsten Freitag mit mir und den Problemkids picknicken zu gehen? Wenn du dich so für sie interessierst?«
»Interessieren? Picknick – pfui bäh. Wenn das nicht die Problemkids wären, würde ich nein sagen. Ja.«
»… und so ein Meckerpott, wie du bist, freundest du dich vielleicht sogar mit ein, zwei von ihnen an …«
»Wer im Glashaus sitzt, sollte schön aufpassen, Miss Missvergnügt, ja? Miss Missmut, ja?«, sage ich, und sofort wird mir übel angesichts meiner bemühten Wortspiele.
Ich mag nicht mal mehr vom Krieg fantasieren. Lange dachte ich, das wäre der einzige Ausweg. Dem Krieg eine Chance zu geben. Weil Todesangst und Not und die grausamste Form von tyrannischer
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