Maechtig, mutig und genial
nahm sie nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch des Ostblocks an über 20 Wahlbeobachtungen in osteuropäischen Staaten und in Afrika teil, wodurch sie Gelegenheit erhielt, auch über Lateinamerika hinaus Erfahrungen mit Prozessen des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie zu sammeln.
1994 gründete sie dann ihr eigenes Markt- und Meinungsforschungsinstitut, als chilenische Partnerin der renommierten britischen Firma MORI. Zu internationalem Ansehen gelangte Marta Lagos mit dem
Latinobarómetro
, einer seit 1995 jährlich publizierten Umfrage, die Meinungen, Verhalten und Werte der BürgerInnen von 18 lateinamerikanischen Ländern untersucht. Vorbild war das Eurobarometer. 1988 hatten Lagos und Huneeus mit Forschern aus Argentinien, Brasilien und Uruguay eine Pilotstudie erarbeitet, die ein Jahr später auf einem von der
Ford Foundation
finanzierten Seminar der Columbia-Universität im Beisein weltweit renommierter Parteien-und Demokratieforscher wie Seymour Martin Lipset und Robert Dahl vorgestellt und diskutiert wurde. Aus den Ergebnissen des Seminars wurde ein Projekt formuliert und bei der Europäischen Kommission zur Finanzierung eingereicht. Es blieb jedoch in Brüsseler Schubladen verschollen, bis Marta Lagos 1993 Jean Jacques Rabier kennenlernte, den Begründer des Eurobarometers, der sich für ihre Pläne einsetzte. Zudem war die Zeit günstig für ein länderübergreifendes Meinungsforschungsvorhaben, da die lateinamerikanischen Länder nun mit Ausnahme Kubas sämtlich zur Demokratie gefunden hatten. Ein Instrument, dass die Einstellung der BürgerInnen zu den jungen Demokratien beobachtete, stieß nun auf Interesse, und die Kommission sagte finanzielle Unterstützung zu.
Ende 1995 erschien das erste
Latinobarómetro
. Nach dreimonatigen Umfragen legte es Ergebnisse aus acht Ländern vor, denn dem Direktorium der Non-Profit-Organisation
Corporación Latinobarómetro
, an dessen Spitze bald Marta Lagos rückte, war es gelungen, über die Finanzierung der Europäischen Kommission hinaus – sie war für vier Länder gedacht – Meinungsforschungsinstitute in vier weiteren Staaten zur Teilnahme zu bewegen.
Das
United Nations Development Programme
(UNDP) und die chilenische Regierung erklärten sich nach Erscheinen der ersten Untersuchung ebenso zur Förderung bereit wie einige weitere Länder, die gern teilhaben wollten, und so erschien 1996 bereits ein
Latinobarómetro
mit Daten aus 17 Ländern. Über die Jahre wurden durch Lagos’ unermüdliches Trommeln weitere Geldgeber gefunden, darunter einige europäische Länder und etliche internationale Organisationen. Ab 1998 reichten die Mittel aus, nicht mehr nur Daten in Städten zu erheben, sondern landesweit. 2004 wurden die Erhebungen auch noch auf die Dominikanische Republik ausgeweitet, so dass das
Latinobarómetro
heute repräsentative Daten über 500 Millionen BürgerInnen aus 17 spanischsprachigen Ländern Lateinamerikas (mit Ausnahme Kubas) sowie aus Brasilien liefert.Längst gehen die Umfragen über Einstellungen zur Demokratie hinaus, auch wirtschafts- und gesellschaftspolitische Themen werden abgefragt. Keine Tageszeitung in Lateinamerika, die die Umfrageergebnisse des
Latinobarómetro
nicht veröffentlichte, und selbst der renommierte britische
Economist
berichtet alljährlich ausführlich darüber. Marta Lagos, nach wie vor Chefin der
Corporación
, hat ihr Projekt in eine Institution verwandelt. Fast versteht es sich von selbst, dass es ihre eigene Firma MORI ist, die die Erhebungen in Chile durchführt, unter der Oberaufsicht eines Gremiums bekannter chilenischer Wissenschaftler und Politiker, darunter Carlos Huneeus. Dem internationalen Beratergremium gehören namhafte Wissenschaftler aus den USA, verschiedenen Ländern Lateinamerikas und Europas an, darunter auch zwei Deutsche.
1999 wurde Lagos zur Gründungsveranstaltung des
Afrobarometer
eingeladen, ein Jahr später war sie dabei, als das erste
Asian Barometer
ins Leben gerufen wurde. Ihr
Latinobarómetro
stand dafür Modell.
Lagos ist obendrein Gründungsmitglied und Koordinatorin von
Globalbarometer
, einer Organisation, die die Barometer aus Afrika, Asien, der arabischen Welt und Osteuropa mit dem lateinamerikanischen zusammenbringt. Unter dem Dach des
Globalbarometer
werden inzwischen die demokratischen Einstellungen in 64 Ländern – 48 Prozent der Weltbevölkerung – gemessen, davon ausgehend, dass die Haltung der BürgerInnen zur Demokratie wesentlich für
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