Maechtig, mutig und genial
EINLEITUNG
Lateinamerika ist der Kontinent der Machos, so das gängige Klischee. Hierzulande wird gern daraus geschlossen, dass Frauen dort dazu verdammt sind, ein Dasein als Heimchen am Herd zu fristen, und dies auch klaglos hinnehmen. Dies war und ist jedoch keineswegs der Fall. Lateinamerika hatte noch vor Europa die erste Präsidentin, es gibt erfolgreiche und mächtige Unternehmerinnen und auch der erste Literaturnobelpreis für Lateinamerika ging an eine Frau. Frauen haben in Lateinamerika bereits seit der Landung der Spanier und Portugiesen politisch und gesellschaftlich eine Rolle gespielt – in einigen Kulturen auch davor. Allerdings war dies nicht die Regel, und die männlich dominierte, offizielle Geschichtsschreibung hat sich um die Frauen kaum gekümmert. Wir möchten daher in diesem Buch einige Lateinamerikanerinnen vorstellen, die für ihr Land und darüber hinaus von Bedeutung waren. Manche von ihnen, aber nicht alle, haben auch versucht, durch ihr Wirken die Rolle der Frauen zu stärken.
KOLONIALZEIT UND DEKOLONIALISIERUNG
Ohne die Aztekin Malintzin, gemeinhin als Malinche bekannt, wäre es dem Eroberer Hernán Cortés um vieles schwerer gefallen, die Völker Mexikos unter spanische Kontrolle zu bringen. Ob es Pedro de Valdivia gelungen wäre, ohne seine wagemutigeGefährtin Inés Suárez bis nach Chile zu gelangen, um dort die Hauptstadt Santiago zu gründen und gegen die indigenen Mapuche zu verteidigen, darf zumindest bezweifelt werden. Auch die Bedeutung der wagemutigen Frauen, die die spanischen Eroberer im La-Plata-Raum begleiteten und deren Überleben angesichts der Hungersnot sicherten, kann kaum überschätzt werden. Eine von ihnen, Isabel de Guevara, beschreibt dies in einem eindrucksvollen Brief an die Krone und beschwert sich dabei darüber, dass diese Verdienste in keiner Weise anerkannt wurden. Gleiches gilt für die vielen namenlosen indigenen Frauen, die den Konquistadoren durch ihre Arbeit auf dem Feld und im Haus das Überleben ermöglichten – und oft auch deren Konkubinen wurden. Ob dies freiwillig oder gezwungenermaßen geschah, steht auf einem anderen Blatt. Frauen aus den höchsten Schichten der indigenen Völker spielten allerdings zu Beginn des Kolonialreiches oft eine aktive Rolle in der Gesellschaft, wofür das Leben von Inés Yupanqui, deren Mutter im Übrigen eine ganze Region regierte, nur ein Beispiel ist. Ein anderes wäre das der inkaischen Ñusta (»Prinzessin«) Beatriz Clara Coya, deren Hochzeit mit Martín García de Loyola, einem Nachkommen des Gründers des Jesuitenordens Ignacio de Loyola, in einem prächtigen Gemälde mit spanischen und inkaischen Symbolen festgehalten wurde. Es stellt die Verbindung von indigenem und spanischem Hochadel und damit die – hier allerdings idealisierte – Mestizisierung Lateinamerikas dar. Diese zeichnet den Kontinent bis heute aus, und sie ist ohne die indigenen und afroamerikanischen Frauen nicht zu denken.
Allerdings entsprach die aktive gesellschaftliche und politische (und im Falle von Inés Suárez auch militärische) weibliche Teilhabe nicht den vom Katholizismus geprägten Moralvorstellungen und Geschlechterrollen, und letztendlich waren bis ins 19. Jahrhundert hinein auch die einflussreichen Frauen gezwungen, sich diesen zu unterwerfen. Kurz: Sie hatten freie Hand, solange ihre Taten den Männern, zu deren politischemProjekt sie gehörten und an dem sie aktiv mitwirkten, zupass kamen. Waren sie diesem nicht mehr zuträglich, wurden sie daraus verbannt, auch gegen ihren Willen. Man suchte einen Ehemann für sie und sorgte dann dafür, dass sich die Frauen wieder entsprechend der traditionellen Rollenbilder verhielten.
Wie so oft in Zeiten politischen und gesellschaftlichen Umbruchs, so haben auch in Lateinamerika die Wirren der Conquista und später der Unabhängigkeitskriege dazu beigetragen, dass Frauen wie Malinche und Inés Suárez zu Einfluss gelangen konnten; kaum etablierten sich die Kolonialherren bzw. die neuen kreolischen politischen Eliten, legten sie wieder mehr Wert auf Moral und Etikette. Die indigenen Frauen wurden dann entweder an den Rand der Gesellschaft gedrängt, oder sie integrierten sich völlig in die Welt der Eroberer und ihrer Werte, wie z. B. die obenerwähnte Beatriz de Loyola, deren Nachkommen in den spanischen Hochadel aufstiegen und ihre indigenen Wurzeln vergaßen.
Das Leben der Sor Juana Inés de la Cruz belegt, dass die etablierte Kolonialgesellschaft auch keinen Platz hatte für
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