Mord nach Liste
Prolog
Der erste Schultag auf der exklusiven Briarwood School war der schlimmste Tag im Leben der fünfjährigen Regan Hamilton Madison. Er war so schrecklich, dass sie nie wieder hingehen wollte.
Am Morgen war sie in der Annahme aufgebrochen, die Vorschule würde wunderbar sein. Warum auch nicht? Schon ihre Brüder und ihre Mutter hatten davon geschwärmt, und es gab keinen Grund, ihnen nicht zu glauben. Auf ihre neue Schuluniform war Regan besonders stolz: ein blau-grau karierter Faltenrock, eine weiße Bluse mit spitzem Kragen, eine marineblaue Krawatte, dazu ein passender grauer Blazer mit einem hübschen goldenen Wappen und den Initialen der Schule auf der Brusttasche. Regan saß auf der Rückbank der familieneigenen Limousine und ließ sich zur Schule chauffieren. Ihre Locken wurden von blauen Spangen gebändigt, ausdrücklich von der Schule genehmigt. Alles, was Regan trug, war nagelneu, sogar die weißen Kniestrümpfe und die marineblauen College-Schuhe.
Regan nahm an, dass sie in Briarwood so zuvorkommend behandelt werden würde wie in den vergangenen zwei Jahren im Kindergarten. Die unentwegt lächelnden Betreuer dort hatten Regan und die anderen neun Kinder der Gruppe verhätschelt und sie von morgens bis abends gelobt. Regan war überzeugt, dass der erste Tag in Briarwood so ähnlich verlaufen würde. Vielleicht sogar noch besser.
Eigentlich hatte ihre Mutter sie zur neuen Schule begleiten wollen, so wie es die Mütter – zum Teil sogar die Väter – der anderen neuen Schulkinder taten. Doch aus Gründen, auf die Regans Mutter, wie sie ihrer Tochter versichert hatte, keinen Einfluss hatte, musste sie bei ihrem neuen Freund in London sein und konnte nicht rechtzeitig nach Chicago kommen.
Großmutter Hamilton wäre gerne mit Regan gefahren, war jedoch ebenfalls bei Freunden im Ausland und würde erst in zwei Wochen zurückkehren.
Am Vortag hatte Regan ihrer Mutter am Telefon versichert, Mrs Tyler, die Haushälterin, bräuchte sie nicht zur Schule zu bringen. Daraufhin hatte ihre Mutter vorgeschlagen, dass Regans älterer Bruder Aiden dies übernehmen solle. Regan wusste, dass er sich sofort einverstanden erklärt hätte. Aiden war siebzehn und hätte zwar wenig Lust gehabt, es aber trotzdem getan, wenn sie ihn gefragt hätte. Er würde alles für sie tun, genau wie ihre anderen Brüder, Spencer und Walker.
Regan beschloss, allein zu ihrer neuen Klasse zu gehen. Sie war jetzt ein großes Mädchen. Der beste Beweis dafür war ihre Schuluniform, und falls sie sich verlief, würde sie einfach einen lächelnden Lehrer um Hilfe bitten.
Es stellte sich heraus, dass die Schule ganz anders war, als Regan erwartet hatte. Sie hatte nicht gewusst, dass der Unterricht in Briarwood den ganzen Tag dauerte. Sie war auch nicht auf die vielen Kinder vorbereitet, die die Schule besuchten. Doch was sie am meisten verstörte, waren die gehässigen Mitschüler. Und die waren einfach überall. Die größte Angst hatte Regan vor einem älteren Mädchen, das die Vorschüler terrorisierte, wann immer die Lehrer nicht hinschauten.
Als die Kinder um drei Uhr nachmittags nach dem Läuten der Schulglocke gehen durften, war Regan so verschüchtert und erschöpft, dass sie sich auf die Unterlippe beißen musste, um nicht zu weinen.
In der kreisförmigen Auffahrt reihten sich Autos und Limousinen aneinander. Evan, der Chauffeur der Hamiltons, stieg aus und kam auf Regan zu.
Regan sah ihn zwar, war aber zu müde, um ihm entgegenzulaufen. Er eilte zu ihr, beunruhigt über ihr Aussehen. Die Haarspangen hingen im aufgelösten Haar, der Schlips saß schief, die Bluse hing aus dem Rock, ein Kniestrumpf war heruntergerutscht. Die Fünfjährige sah aus, als sei sie im Wäschetrockner geschleudert worden. Evan hielt ihr die Hintertür auf und fragte: »Alles in Ordnung, Regan?«
Mit gesenktem Kopf antwortete sie: »Ja.«
»Wie war’s in der Schule?«
Regan schlüpfte ins Auto. »Ich will nicht darüber reden.«
Die gleiche Frage stellte ihr auch die Haushälterin, als sie die Tür öffnete. »Ich will nicht darüber reden«, wiederholte Regan.
Die Haushälterin nahm ihr die Schultasche ab. »Danke«, sagte Regan, rannte die gewundene Treppe hinauf, den Südflügel hinunter zu ihrem Zimmer, warf die Tür hinter sich zu und brach in Tränen aus.
Regan wusste, dass ihre Mutter von ihr enttäuscht war, weil sie ihre Gefühle nicht in den Griff bekam. Wenn Regan stolperte und sich das Knie aufschlug, musste sie einfach weinen, egal
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