Maerchen Fuer Kinder
sie, »aber hast Du Mut und Ausdauer? Wohl ist das Wasser weicher als Deine feinen Hände, und formt doch die Steine um, aber es fühlt nicht die Schmerzen, die Deine Finger fühlen werden, es hat kein Herz, leidet nicht die Angst und Qual, die Du aushalten mußt. Siehst Du die Brennessel, die ich in meiner Hand halte? Von derselben Art wachsen viele rings um die Höhle, wo Du schläfst, nur die dort und die, welche auf des Kirchhofs Gräbern wachsen, sind tauglich, merke Dir das. Diese mußt Du pflücken, obgleich sie Deine Haut voll Blasen brennen werden; brich die Nesseln mit Deinen Füßen, so erhältst Du Flachs, mit diesem mußt Du elf Panzerhemden mit langen Ärmeln flechten und binden, wirf diese über die elf Schwäne, so ist der Zauber gelöst. Aber bedenke wohl, daß Du von dem Augenblicke, wo Du diese Arbeit beginnst, bis sie vollendet ist, wenn auch Jahre darüber vergehen, nicht sprechen darfst; das erste Wort, welches Du sprichst, fährt wie ein tötender Dolch in Deiner Brüder Herz; an Deiner Zunge hängt ihr Leben. Merke Dir das alles!«
Die Fee berührte zugleich ihre Hand mit der Nessel; es war einem brennenden Feuer gleich, Elisa erwachte dadurch. Es war heller Tag und dicht daneben, wo sie geschlafen hatte, lag eine Nessel wie die, welche sie im Traume gesehen hatte. Da fiel sie auf ihre Kniee, dankte dem lieben Gott und ging aus der Höhle hinaus, um ihre Arbeit zu beginnen.
Mit den feinen Händen griff sie hinunter in die häßlichen Nesseln, sie waren wie Feuer; große Blasen brannten sie an ihren Händen und Armen, aber gern wollte sie es leiden, wenn sie die lieben Brüder befreien konnte. Sie brach jede Nessel mit ihren bloßen Füßen und flocht den grünen Flachs.
Als die Sonne untergegangen war, kamen die Brüder, die sehr erschraken, Elisa stumm zu finden; sie glaubten, es sei ein neuer Zauber der bösen Stiefmutter; aber als sie ihre Hände erblickten, begriffen sie, was ihre Schwester ihrethalben thue, und der jüngste Bruder weinte, und wohin seine Thränen fielen, da fühlte sie keine Schmerzen, da verschwanden die brennenden Blasen.
Die Nacht brachte sie bei ihrer Arbeit zu, denn sie hatte keine Ruhe, bevor sie die lieben Brüder erlöst hatte; den ganzen folgenden Tag, während die Schwäne fort waren, saß sie in ihrer Einsamkeit, aber nie war die Zeit so eilig entflohen. Ein Panzerhemd war schon fertig, nun fing sie das zweite an.
Da ertönte ein Jagdhorn zwischen den Bergen; sie wurde von Furcht ergriffen, der Ton kam immer näher, sie hörte Hunde bellen, erschrocken floh sie in die Höhle, band die Nesseln, die sie gesammelt und gehechelt hatte, in einen Bund zusammen und setzte sich darauf.
Zugleich kam ein großer Hund aus der Schlucht hervorgesprungen, und gleich darauf wieder einer, und noch einer; sie bellten laut, liefen zurück, und kamen wieder vor. Es währte nicht lange, so standen alle Jäger vor der Höhle, und der schönste unter ihnen war der König des Landes; dieser trat auf Elisa zu, nie hatte er ein schöneres Mädchen gesehen.
»Wie bist Du hierher gekommen, Du herrliches Kind?« sagte er. Elisa schüttelte das Haupt, sie durfte ja nicht sprechen, es galt ihrer Brüder Erlösung und Leben; und sie verbarg ihre Hände unter der Schürze, damit der König nicht sehe, was sie leiden müsse.
»Komm mit mir!« sagte er, »hier darfst Du nicht bleiben! Bist Du so gut, wie Du schön bist, so will ich Dich in Seide und Sammet kleiden, die Goldkrone Dir auf das Haupt setzen, und Du sollst in meinem schönsten Schlosse wohnen!« – und dann hob er sie auf sein Pferd. Sie weinte, rang ihre Hände, aber der König sagte: »Ich will nur Dein Glück! Einst wirst Du mir dafür danken.« Dann jagte er fort durch die Berge, und hielt sie vorn auf dem Pferde, und die Jäger jagten hinterher.
Als die Sonne unterging, lag die schöne Königsstadt mit Kirchen und Kuppeln vor ihnen, der König führte sie in das Schloß, wo große Springbrunnen in den hohen Marmorsälen plätscherten, wo Wände und Decke von Gemälden prangten, aber Elisa hatte keine Augen dafür, sie weinte und trauerte; willig ließ sie die Frauen ihr königliche Kleider anlegen, Perlen in ihre Haare flechten, und feine Handschuhe über die verbrannten Finger ziehen.
Als sie in all' ihrer Pracht dastand, war sie so blendend schön, daß der Hof sich noch tiefer vor ihr verneigte und der König erkor sie zu seiner Braut, obgleich der Geistliche mit dem Kopf schüttelte und flüsterte, daß das
Weitere Kostenlose Bücher