Mafia Princess
endgültig nach Italien wollte. Ihre immer wiederkehrende Frage war: »Wer ist dieser Emilio?«
Pat antwortete ihnen nicht, weil sie selbst nicht ganz sicher war. Stattdessen meinte sie: »Er ist ein guter Mann. Er kümmert sich um mich. Ich bin glücklich.«
Tief in ihrem Inneren hoffte Pat wirklich, sie würde glücklich werden.
Als sie wieder an die Piazza Prealpi zurückkehrte, gewann sie seine Eltern und all seine Geschwister allmählich wirklich lieb und lernte viel, wenn auch nicht alles, über die Familiengeschichte. Sie fühlte sich zwischen den beiden Kulturen hin- und hergerissen, aber sie wollte dazugehören, wollte, dass alles funktionierte mit dem jungen Emilio und mit dem Baby, das unterwegs war. Einem Mann wie ihm war sie noch nie begegnet.
So sagte er zum Beispiel immer: »Lieber einen einzigen Tag wie ein Löwe leben als hundert Jahre wie ein Schaf.«
Doch auch in der Mafia gab es so etwas wie Anstand. Großmutter drängte Emilio, »zu tun, was sich gehört«.
Nur achtzehn Tage nach meiner Geburt, am 9. März 1970, wurden sie auf einem Standesamt in der Nähe der Piazza Prealpi getraut. Emilio trug einen dunklen Anzug und Pat ein schlichtes braunes Kleid, das sie in Blackpool bei C & A gekauft hatte. Großvater Rosario, der Trauzeuge war, machte ein Gesicht wie bei einer Beerdigung. Pats Eltern waren nicht dabei. Als Hochzeitsessen gab es Pasta bei Großmutter.
Da hörte Pat, wie sich ihr Mann und ihr Schwiegervater in der Küche unterhielten: »Ich mache mir Sorgen wegen deiner Frau, Emilio. Sie wird zu viele Fragen stellen. Sie ist Engländerin – sie begreift nicht, wie es bei uns zugeht. Sie kann uns Schwierigkeiten machen.«
Großvater bekam zur Antwort, dass es keine Probleme geben werde. Niemand werde sich der Familie in den Weg stellen, am allerwenigsten Pat. Alles werde weiterlaufen wie bisher.
Wie um das zu beweisen, feierte Emilio seine Hochzeitsnacht, indem er ausging und mit seinen Freunden trank und spielte. Seine Braut verbrachte die Nacht allein, kümmerte sich um das Baby – mich – und machte sich Sorgen um die Zukunft.
Emilio war geistesgegenwärtig, hatte Nerven wie Drahtseile und beherrschte fließend die Sprache der Gewalt und des Verbrechens. Er hatte all das geerbt. Denn er war genau wie seine Mutter.
Großmutter war am 14. November 1931 in San Sperato zur Welt gekommen, genau an der Spitze Kalabriens, an der Straße von Messina, gegenüber dem Ätna auf Sizilien, so weit ab von aller Zivilisation, wie man sich das nur vorstellen kann. Im Zweiten Weltkrieg hatten ihre Verwandten als Partisanen im Gebirge gekämpft, und »Partisan« in ihrer Welt bedeutete, dass sie füreinander, für sich selbst kämpften.
Sie waren berüchtigt. Verbissen kämpften sie gegen die Deutschen, gegen Mussolini. Sie waren gegen alle und jeden. Dagegen mochten sie die amerikanischen Soldaten wegen des Schwarzmarkts. Zu ihrem eigenen Vorteil machten sie Schutz, Erpressung und Schmuggel zu ihrem Geschäft. Es ging rau zu.
Sie waren Traditionalisten, hielten die Überzeugungen der ’Ndrangheta lebendig, deren schlimme Geschäfte zurückgehen bis zur Einigung Italiens im Jahr 1861. Die ’Ndrangheta brauchte keinen Geheimcode, denn der kalabrische Dialekt ist unzugänglich. In der Anfangszeit verbündeten sich die armen, aber stolzen und zornigen Kalabresen gegen die reichen Landbesitzer, die übernommen hatten, was die Armen als ihr Land betrachteten. In San Sperato lebten etwa vierhundert Menschen, und den meisten Familien gelang es, ein Stückchen Land zu ergattern.
Viel hatte sich nicht geändert, als Großmutter mit elf Geschwistern aufwuchs, in einer Familie, der es praktisch in den Genen lag, Krieg in den Hügeln Kalabriens zu führen. Sie alle lebten dicht gedrängt in einem nur halb fertig gestellten Steinhaus mit zwei Schlafzimmern. Wie die anderen Bewohner bauten die Serrainos Oliven und Zitronen an, aber sie handelten auch mit Schmuggelware, mit Zigaretten und Alkohol, meist Cognac. Den stahl man in Kalabriens großem Hafen Gioia Tauro – Italiens »Tor zur Welt« –, der von der ’Ndrangheta beherrscht wurde. Im Schatten von Melonenständen auf unbefestigten Pfaden überall im Land wurde schwunghafter Handel mit dem illegalen Alkohol und Tabak getrieben. Am Freitagnachmittag kassierte die Polizei ihre Bestechungsgelder in Naturalien, Flaschen mit Branntwein und Wein, ein paar Stangen Zigaretten,
»Schönes Wochenende«, wünschte man den Polizisten.
Das war Tradition
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