Hochzeit in Hardingsholm
– 1 –
E s war eine dieser Sommernächte, in denen es in Schweden nie ganz dunkel wird. Der Mann schlich durchs Unterholz. Der Kanister in seiner rechten Hand wog schwer, und er kam nur langsam voran. Kleine Äste schlugen ihm ins Gesicht, Dornen stachen durch seine Hosenbeine. Trotzdem fühlte er sich nicht erleichtert, als er endlich schwitzend und keuchend sein Ziel erreichte: die Baustelle.
Er blieb stehen, atmete schwer. Sein Gewissen machte ihm zu schaffen. Noch konnte er zurück, konnte es sich anders überlegen. Er war schon fast geneigt, den Auftrag abzulehnen, bis er wieder an das Geld dachte, das er vorab dafür erhalten hatte. Geld, das er dringend brauchte, für sich und Ulrika, mit der er ein völlig neues Leben beginnen wollte.
Der Mann presste die Lippen fest aufeinander und schloss die Augen. Ja, er hatte es verdient, dieses neue Leben. Irgendwo anders, wo er nicht mehr so hart arbeiten musste, und mit einer Frau an seiner Seite, die ein bisschen Luxus erwartete.
Zu Recht, wie er fand. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass eine Frau wie sie ihn überhaupt eines Blickes würdigte. Mehr noch, dass sie mit ihm zusammen sein wollte.
»Für Ulrika! Für Ulrika! Für Ulrika!« Wie ein Mantra murmelte er die beiden Worte vor sich hin, während er den Vorplatz in Richtung des großen Holzhauses überquerte, in das schon in Kürze die Bewohner einziehen würden. Noch war es nicht ganz fertig, aber die Maschinen und das Material für die letzten Baumaßnahmen standen bereit und schienen ihn durch das Halbdunkel vorwurfsvoll anzublicken. Er beschleunigte seine Schritte. Ja, er ging ein hohes Risiko ein, aber wer außer ihm sollte sich hier draußen mitten in der Nacht aufhalten?
Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gebracht, als er ein leises Knacken vernahm. War es hinter ihm? Vor ihm?
Er war stehen geblieben, spürte den Rhythmus seines eigenen Herzens und lauschte angestrengt in die Dunkelheit.
Kein Laut war mehr zu hören. Sein Herzschlag beruhigte sich allmählich, aber die Anspannung in ihm blieb.
Für ihn gab es kein Zurück. Er öffnete den Kanister und hielt den Atem an.
– 2 –
D em Himmel so nah!
Hellen hätte schreien können vor Glück. Wie lange war es her, dass sie so unbeschwert und frei wie ein Vogel durch die Lüfte geflogen war! Sie spürte jeden Aufwind und jedes Luftloch unmittelbar und fühlte sich in der kleinen Maschine eins mit der Natur um sich herum.
Fliegen in Perfektion. Über ihr der Himmel, unter ihr grüne Wälder, kleine Ansiedlungen, einzelne Gehöfte und hin und wieder das blau schimmernde Wasser kleiner Seen. Und nun sogar das Meer. Endlos schienen sich die Schären in der Ostsee zu verlieren. Grüne Flecken in der blauen See, hingetupft wie Smaragde auf einer schimmernden Oberfläche.
Hellen war ihrer Freundin in doppelter Hinsicht dankbar. Zum einen, weil Lara ihr gleich das Steuer des kleinen Wasserflugzeugs überlassen hatte, zum anderen, weil Lara nun schweigend neben ihr saß und sie die pure Freude dieses Fluges über die vielen Inseln und Inselchen genießen ließ. Allerdings wusste sie auch, dass ihrer Freundin nicht zum Reden zumute war. Ihr trauriges Gesicht sprach Bände. Kurz griff Hellen nach Laras Hand.
Lara lächelte. »Es geht schon«, sagte sie leise, aber in ihrer Stimme schwangen ungeweinte Tränen mit.
Lara hatte es sich nicht nehmen lassen, sie in Nyköping abzuholen. Hellen war dort zu Besuch bei ihren Eltern gewesen, die sie in den letzten Jahren nur selten gesehen hatte. Ihre Ausbildung zur Berufspilotin hatte kaum Zeit für anderes gelassen, und daneben gab es ja auch noch Torsten.
Sie musste unwillkürlich lächeln, als sie an ihren Freund dachte. Seit zwei Jahren teilten sie sich eine Wohnung in Stockholm, aber die würde während ihrer Abwesenheit nun zumeist leer stehen. Im Augenblick flog Torsten ständig die Strecke Stockholm–Toronto, jeweils mit einem zweitägigen Aufenthalt in Kanada. Er führte also genau das Leben, von dem auch sie nach Abschluss ihrer Ausbildung träumte. Aber jetzt, als sie eine von Laras kleinen Maschinen steuerte, da fragte sie sich ernsthaft, ob sie ihre Freundin nicht viel mehr beneiden sollte als ihren Freund. Man will immer das, was man gerade nicht hat, dachte sie amüsiert, flog einen weiten Bogen und begann schließlich mit dem Sinkflug über Norrtälje.
Laras Haus lag einsam direkt am Ufer des Norrtäljeviken. Hier wasserten die Flugzeuge ihres kleinen Unternehmens im Fjord direkt vor
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