Betrogen
1
»Bussi, Bussi.« Melina Lloyd gab ihrer Zwillingsschwester in Wangenhöhe zwei Luftküsse. »Ich habe einen italienischen WeiÃwein bestellt. Trocken, leicht und überhaupt nicht süÃ; im Gegensatz zu dem Kellner, der ihn empfohlen hat. Wenn man vom Teufel spricht â Da kommt er schon.«
Gillian nahm ihr gegenüber Platz. Als der Kellner ihren Pinot Grigio servierte, schüttete er sich etwas davon über die Hand, weil sein rasierter Kopf zwischen den beiden nicht mehr zur Ruhe kam. »Du lieber Himmel!«
»Wir sind eineiig«, sagte Gillian und ersparte ihm damit jede weitere Frage.
»Ich bin sprachlos. Diese Ãhnlichkeit macht einen ja völlig perplex.«
Melina lächelte ihn eisig an. »Meine Schwester würde gerne etwas zu trinken bestellen. Wennâs beliebt.«
Ihr Unterton, so trocken wie der Wein, lieà ihn aufhorchen. »Gewiss«, sagte er, wobei er fast die Hacken zusammengeknallt hätte. »Verzeihung, Verzeihung. Madame?«
»Ein Wasser, bitte, mit viel Eis und einer Limettenscheibe.«
»Ich bin prontomente wieder da, mit Ihrem Getränk, und dann erzähle ich Ihnen auch, was es heute Besonderes gibt.«
»Ich kannâs kaum erwarten«, stieà Melina zwischen den Zähnen hervor, während er davonschwebte.
Flüsternd beugte sich Gillian vor: »Ist prontomente ein echtes Wort?«
»Ist perplex eins?«
Beide mussten lachen. »Wie schön, dass ich dich lächeln sehe«, meinte Gillian. »Als ich hereinkam, hast du ein derart mürrisches Gesicht gezogen, als wolltest du gleich losfauchen.«
»Ich bin tatsächlich ein bisschen angesäuert«, gab Melina zu. »Ich musste heute Morgen einen Autor zum Flughafen fahren, damit er noch rechtzeitig seinen Flug um fünf Uhr achtundfünfzig erwischt. Fünf Uhr achtundfünfzig! Manche Presseabteilungen buchen solche Flüge zu nachtschlafender Zeit nur, um uns Medienbegleiter zu provozieren.«
»Und wer war dieser Frühaufsteher? Jemand Interessantes?«
»Habâ ihren Namen vergessen. Ein Debüt. Kinder sind wie Haustiere . Untertitel: Eine verblüffende Erziehungsmethode .«
»Zweijährige, die auf Kommando Sitz machen und bellen?«
»Keine Ahnung. Ich habâs nicht gelesen. Im Gegensatz zu etlichen anderen. Steht zur Zeit auf Platz drei der New York Times Bestsellerliste.«
»Du machst Witze.«
»Heiliger Eid. Muss nur genug auffallen, dann verkauft es sich schon. Heutzutage könnte sogar ich ein Buch schreiben. Nur fällt mir kein interessantes Thema ein.« Sie dachte ein, zwei Sekunden darüber nach. »Vielleicht über die Berühmten und Berüchtigten, die ich getroffen habe und nur mit Mühe einen einzigen Tag ertragen konnte. Aber dann würde ich vermutlich verklagt.«
Der Kellner kam mit Gillians Wasser und einem winzigen silbernen Brotkörbchen zurück und leierte seinen Sermon herunter, in dem es mehr um blumige Worte als ums Essen ging. Als sie aus der regulären Speisekarte je eine halbe Avocado mit Shrimpssalat bestellten, trat er beleidigt den Rückzug an.
Melina reichte Gillian das Körbchen, die einen Daumennagel groÃen Cracker mit Pekannussstückchen zerbrach. »Wie wärâs denn mit deinem Leben als eineiiger Zwilling? Darüber könntest du doch schreiben.«
»Dazu gibtâs schon viel zu viel. Man müsste das Thema eingrenzen.«
»Gleiche Kleidung: Ja oder Nein?«
»Vielleicht.«
»Der Kampf um die Elternliebe?«
»Schon besser. Wie wärâs damit: Verständigung durch Telepathie?« Melina musterte Gillian über den Rand ihres Weinglases, während sie einen Schluck trank. »Was mich zu der Anmerkung veranlasst, dass meine Zwillingsschwester heute schrecklich nachdenklich wirkt. Was ist los?«
Vor ihrer Antwort verspeiste Gillian den restlichen Cracker und wischte sich den Mehlstaub von den Fingerspitzen. »Ich habâs getan.«
»âºEsâ¹?«
»Du weiÃt schon.« Gehemmt senkte sie die Stimme. »Das, worüber ich die ganzen letzten Monate nachgedacht habe.«
Beinahe hätte sich Melina an der ausgezeichneten italienischen Importware verschluckt. Ihre Augen, rauchfarbene Spiegelbilder von Gillians eigenen, wanderten zu Gillians Schoà hinunter, der auÃer Sichtweite unter dem Tisch verschwand.
Gillian lachte. »Du siehst es mir nicht an,
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