Magic Girls 06 - Späte Rache
hatte der Unterricht bereits begonnen. Sie rannte über den Schulhof, so schnell sie konnte. Die Luft stach in ihren Lungen.
»Mist! Mist! Mist!« Nele ärgerte sich über sich selbst. Frau Treller, die Klassenlehrerin, hatte sie schon mehrfach wegen ihrer Unpünktlichkeit ermahnt und ihr gestern sogar angedroht, sie zum Direktor zu schicken, wenn es noch einmal vorkam. Und heute war sie schon wieder spät dran!
Wenn Nele nur Elena oder Miranda träfe! Ihre beiden Freundinnen waren waschechte Hexen – was aber nur Nele und Jana wussten. Miranda konnte sicher einen kleinen Zauber durchführen, und damit wäre das Problem sofort aus der Welt.
Aber Elena und Miranda saßen jetzt sicher im Klassenzimmer auf ihren Plätzen. Sie wurden meistens von Elenas Großmutter Mona zur Schule gefahren. Mona war eine lausige Autofahrerin, aber trotzdem schaffte sie es immer irgendwie, die Mädchen pünktlich vor dem Schultor abzuliefern.
»Könnte ich nur selber hexen!«, murmelte Nele, als sie die Eingangstür aufriss. Weil sie zur großen Uhr an der Wand blickte – es war tatsächlich schon fünf Minuten nach acht –, |28| übersah sie den Jungen, der im selben Moment von rechts kam. Die beiden stießen so heftig zusammen, dass Nele das Gleichgewicht verlor und auf dem Hintern landete.
»Tut mir leid«, rief der Junge und streckte Nele die Hand hin, um ihr vom Boden aufzuhelfen. »Ich hab dich nicht gesehen.«
Nele griff automatisch zu und ließ sich hochziehen. Der fremde Junge war groß, braunhaarig – und hatte die hellblausten Augen der Welt. Nele starrte ihn an. Normalerweise war sie nie um Worte verlegen, aber jetzt brachte sie keinen Ton heraus.
»Es tut mir leid«, sagte der Junge noch einmal. »Hast du dir wehgetan?«
Nele schüttelte den Kopf. Sie musste ihn noch immer ansehen. Er hatte eine Stupsnase, und eine braune Locke fiel ihm in die Stirn.
»Ich bin Arne und neu an der Schule«, stellte er sich vor. »Kannst du mir sagen, wo das Oberstufenzimmer ist?«
»Das Oberstufenzimmer«, wiederholte Nele und hatte das Gefühl, dass ihr Gehirn nicht richtig funktionierte. »Klar kann ich dir das sagen. Das Oberstufenzimmer … äh … das ist …« Sie schluckte, während sie in ihrem Gedächtnis nachforschte. »Äh … im zweiten Stock.«
»Danke.« Arne lächelte und bewegte dann seinen Arm. Nele hielt noch immer seine Hand fest.
»Ach so, ja.« Sie ließ ihn los, als hätte sie sich verbrannt. Das Blut schoss ihr in die Wangen.
»Tschüs.« Er lächelte sie noch einmal an und ging dann mit langen Schritten zur Treppe.
Nele blickte ihm hinterher. Endlich gelang es ihr, die Benommenheit abzuschütteln. Trotzdem fühlte sie sich noch |29| immer wie auf Wolken, als sie zu ihrem Klassenzimmer lief. Etwas war geschehen, die Welt hatte sich von einem Augenblick zum anderen verändert … Frau Treller war nicht mehr wichtig. Schwungvoll öffnete Nele die Tür. Alle Köpfe fuhren herum.
»Aha, Nele«, sagte Frau Treller, die gerade etwas an die Tafel geschrieben hatte. Ihr Tonfall klang leicht genervt, als sie hinzufügte: »Wer sonst?«
»Tut mir leid«, sprudelte Nele heraus. »Ich wäre heute pünktlich gewesen, aber vor der Haustür ist mir der Schnürsenkel gerissen und ich musste noch mal zurück. Ich kann nichts dafür, ehrlich nicht. Sie können meine Mutter fragen, wenn Sie mir nicht glauben.«
Die Lüge war ihr ohne jegliche Mühe über die Lippen gekommen.
»Aha«, sagte Frau Treller noch einmal. Sie sah Nele streng an. »Na gut, ich glaube dir. Ausnahmsweise. Das war aber wirklich das allerletzte Mal, dass du zu spät zum Unterricht gekommen bist!«
Nele nickte und ging auf ihren Platz, wo Jana sie schon erwartete.
»Glück gehabt!«, zischte sie Nele zu.
Nele zuckte die Achseln und packte ihre Sachen aus. In Gedanken sah sie noch immer Arnes Gesicht vor sich. Sie hatte noch nie einen so süßen Jungen gesehen …
Jana stieß sie in die Rippen. »He, was soll das?« Sie deutete auf die Dinge, die auf Neles Pult lagen.
Nele hatte ihr Pausenbrot und einen Apfel ausgepackt, ihren Zirkelkasten und das Geodreieck. Dabei hatten sie jetzt Englisch.
»Oh ja, richtig.« Nele räumte die Sachen wieder ein und |30| holte ihr Englischbuch und das Heft hervor. Sie versuchte, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, aber fünf Minuten später merkte sie, dass sie die ganze Zeit den Heftumschlag mit kleinen Herzchen verzierte. Jana kicherte.
»Was ist denn mit dir los?«, flüsterte sie.
»Ich muss dir
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