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Magie der Schatten: Roman (German Edition)

Magie der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Magie der Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lisowsky
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Handarbeitszimmer – natürlich hatte auch Miss Mountford ihre Wirtschaftsräume, aber groß waren die auch nicht, als hätte St. Margaret’s sich so sehr verausgabt beim Versuch, ein eindrucksvolles Äußeres auf die Beine zu stellen, dass fürs Innere nichts mehr übrig blieb. Das Haus war zudem noch so kalt und zugig, dass jede adoptionswillige Mutter damit rechnen musste, die so erworbene Tochter binnen Jahresfrist an die Schwindsucht zu verlieren, und das dämpfte die Freude doch sicherlich gewaltig.
    So mussten wir, die armen Zöglinge, damit rechnen, früher oder später ins Arbeitshaus überzusiedeln, es sei denn, jemand nahm uns vorher in seinen Dienst, denn bei einer Scheuermagd kam es nicht darauf an, wann oder aus welchen Gründen sie der Schwindsucht anheimfiel. Scheuermägde waren viel leichter zu ersetzen als Töchter. Es hieß also die Fabrik oder Dienerschaft – wir konnten uns nicht entscheiden, was davon nun die schlimmere Aussicht war, und so wurden die allergrößten Hoffnungen in die selten genug vorkommenden Adoptionen gesetzt. Niemand musste uns zweimal ermahnen, unsere Haare vor dem Flechten zum saubersten aller Scheitel zu kämmen, die Fingernägel zu schrubben und unser süßestes Sonntagslächeln aufzusetzen, wenn interessierte Herrschaften ihren Besuch ankündigten.
    Der Gentleman, der an jenem schicksalsvollen Tag nach St. Margaret’s kam, hatte sich jedoch nicht angekündigt, was natürlich ein strategischer Schachzug sein konnte: So erwischte er diejenigen Mädchen, die ihr Haar nicht stets senkrecht scheitelten und die Fingernägel nicht sauber hielten, unvorbereitet. Der Gentleman hatte es eilig, wie es schien. Natürlich, so etwas Wichtiges wie eine Adoption sollte man immer übers Knie brechen! Aber auch mit ausführlicher Vorbereitung war die Auswahl zwischen sechzig Mädchen, in drei Reihen nach Größe aufgestellt - alle gekleidet in das gleiche dunkelblaue Leinen und mit den gleichen straff geflochtenen Zöpfen – nicht viel anders als die Wahl eines Hundewelpen aus einem zappelnden Wurf. Aber war er überhaupt wegen einer Adoption gekommen?
    Wir, die wir schon etwas älter waren, hatten die Hoffnung ohnehin aufgegeben. Zum Adoptieren eigneten sich die kleineren Mädchen besser. Jene, die noch nicht so lange in St. Margaret’s waren, dass die karge und strenge Kost von Mrs. Hubert, unserer Köchin, ihre Grübchen glattgebügelt hätte, und deren blondes Haar sich noch lieblich kräuselte, statt durch tausend stramme Zöpfe glattgezogen worden zu sein. Ab einem gewissen Alter wurde niemand mehr adoptiert. Da konnte man nur hoffen, dass ein Gentleman kam, die Reihen entlangschritt und dann erklärte, dieses oder jenes Mädchen wäre in Wirklichkeit die verschollene Erbin von Leicester – seht nur, hier ist das Testament –, um es dann in einer prachtvollen Kutsche davonzufahren zu dem Haus, das von nun an ihr Stammsitz sein sollte.
    Aber nicht so bei diesem Gentleman. Bei ihm kamen die Mädchen auf noch ganz andere Gedanken. Er war groß und schmal, einer, der im Leben noch nie hatte arbeiten müssen, und wenn, dann nicht hart oder körperlich. Es lag so viel Würde in seinen schmalen Schultern, soviel Anmut. Dazu ein fein geschnittenes, ernstes Gesicht mit einem tragischen Zug um den Mundwinkel und dunklen Schatten unter seinen noch dunkleren Augen – als hätte man ihn einer beliebigen Brontë-Schwester entrissen, bevor sie ihn zum Helden eines Romans hatte machen können. Mit seinem schwarzen Haar und dem schwarzen Anzug sah er aus wie eine sehr ernste Dohle, und sein Blick ging durch Mark und Bein, dass man sich ganz klein fühlte und gleichzeitig irgendwie erhaben, weil er einen überhaupt beachtete. Ich sah ihn und kannte sofort all die romantischen Gedanken, die den anderen großen Mädchen, die wie ich in der hinteren Reihe stehen mussten, durch den Kopf gingen.
    Aber nicht mir. Meine romantischen Phantasien bestanden nicht darin, dass ein dunkler Fremder in mein Leben trat und mich auf den Stammsitz seiner Familie entführte. Gegen eine Adoption hätte ich zwar nichts einzuwenden gehabt, aber selbst dann hatte ich nicht vor, lange zu bleiben. Mein Traum – ob ihn nun irgendjemand außer mir romantisch fand oder nicht – war es, mit dem Zirkus durchzubrennen. Die große und wilde Freiheit, jeden Tag an einem anderen Ort zu sein, faszinierte mich. Das entbehrungsreiche Leben auf der einen Seite, der Applaus auf der anderen, und ich mittendrin, hoch oben in der

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