Magie der Schatten: Roman (German Edition)
erhellten die Hausdächer mit ihrem Schein. Ihre Formen waren die von Tieren: Ein Feuervogel zog Kreise um einen Schornstein, eine flammende Fledermaus verschwand im Sturzflug in einer Gasse, und ein winziger Drache hielt sich in der Luft über den Magiern. Die Menge brach in tosenden Applaus aus.
Nur das Mädchen schwieg und stupste ihn wieder an. »Duuu? Du hast die gleiche Jacke an wie die auf der Bühne.«
Nairod lächelte bitter und zog sich die dunkle Uniformjacke zurecht. »Du hast gute Augen.«
»Ja!« Das Mädchen strahlte.
Er wandte sich wieder der Vorstellung zu. Die Flammenmagier verließen unter Begeisterungsstürmen die Bühne, und eine andere Gruppe nahm ihren Platz ein.
Das Mädchen schmatzte an seinem Bonbon. »Bist du auch ein Zauberer?«
Er spürte, wie sich seine Miene verhärtete. »Pass auf. Wenn ich dir meine Jacke gebe, bist du dann eine Zauberin?«
Das Mädchen schob das Bonbon im Mund hin und her. Es schien zu überlegen. »Ich glaube nicht.«
»Aha. Na also.«
Er schaute wieder zur Bühne. Die nächsten Magier trugen Wassereimer auf das Podest und vollführten wilde Gesten über den Behältern. Schließlich rissen sie die Eimer in die Höhe, und das Wasser spritzte in hohem Bogen heraus. In der Bewegung erstarrte es zu einer eisigen Skulptur, die bei jedem Magier anders aussah. Eine gefrorene Flutwelle. Eine Sonne aus Eis. Ein durchscheinender Turm. Die Zuschauer klatschten und pfiffen.
Nairod klatschte nicht. Die Kinder um ihn herum taten es, nur das gelockte Mädchen nicht. Es hatte ihn die ganze Zeit angesehen. »Duuu? Gibst du mir deine Jacke? Bist du ein Zauberer?«
»Nein, ich gebe dir meine Jacke nicht.« Nairod schloss die Messingknöpfe, obwohl es ein erstaunlich warmer Herbstabend war. »Aber wenn du mich jetzt in Ruhe lässt, dann, gut, bin ich eben ein Zauberer.«
Das Mädchen sah ihn mit einem Blick an, den es sich von einer strengen Mutter abgeschaut haben musste, und drehte sich dann weg.
Nairod widmete sich wieder dem Fest der Magie. Die Frostmagier ließen ihr Wasser abwechselnd auftauen und wieder gefrieren und schufen immer neue, waghalsigere Skulpturen aus Eis. Sie wurden schließlich abgelöst von einem Telekinetiker, der einen vollen Schreibtisch mit auf das Podest brachte. Seine Magie ließ die Schreibfeder durch die Luft segeln, sie mit dem Kiel ins Tintenfass eintauchen und schwebende Dokumente signieren.
»Gehst du auch noch nach vorn?«, fragte das Bonbonmädchen.
Er seufzte. »Ganz bestimmt nicht.«
»Papa hat gesagt, beim Fest der Magie zeigen alle Zauberschüler von Wolkenfels, was sie gelernt haben.«
»Ich habe nichts zu zeigen.« Er bot dem Mädchen seine leeren Handflächen dar.
»Aber du bist ein Zauberer. Warst du nicht fleißig genug und kannst noch nichts?«
In seiner Jackentasche ballte sich eine Hand zur Faust. Er sah hinüber zu den nächsten Darbietungen auf der Bühne. Aus den Fingerspitzen dieser Zauberer zuckten Blitze, und ein leises Knistern erfüllte die Luft.
»Das ist schade, dass du niemandem zeigen willst, was du kannst.« Das Mädchen hatte aufgehört, an seinem Bonbon zu lutschen. »Zeig es mir! Ich bin aus Zweibrück mit meinem Papa hier nach Felsmund gekommen, nur um mir die Zauberer ansehen zu können.«
Nairod schüttelte den Kopf. »Was ich dir zeigen kann, ist nichts Besonderes. Ich meine, eigentlich ist es nichts, überhaupt nichts.«
»Ich habe noch nie nichts gesehen.«
Auch die anderen Kinder horchten auf. Mit großen Augen schauten sie ihn an.
Nairod blickte in die kleinen Gesichter. »Es hat einen Grund, wieso ich nicht auf der Bühne … Ach, beim Ewigen.« Er stand auf und klopfte sich die Hose ab. Langsam stieg er die Treppe hinab, und die Kinder taten es ihm gleich. Das Bonbonmädchen stolperte fast über den Saum seines Kleides, während es die Stufen hinuntersprang und neben Nairod herlief.
Er warf noch einen letzten Blick auf den Festplatz, aber ohne die erhöhte Position der Treppe sah er nur die Rücken der Zuschauer. Die Kinder folgten ihm weg vom Platz, eine Gruppe aus strubbeligen Haaren und flatternden Mäntelchen.
Die hellen Festlaternen leuchteten selbst die engsten Gassen mit ihren bunten Farben aus und färbten das dunkle Wasser der Kanäle. Die Stimmen vom Festplatz verhallten langsam.
»Wieso gehen wir so weit weg?«, fragte das Bonbonmädchen.
Nairod beobachtete den Himmel, über den noch immer die Feuertiere zogen. »Weil nicht jeder meine Magie sehen will, deswegen. Aber ihr
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