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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Zeitpunkt verschlossen Sie die Rohre, und das Tier verstummte. Drittens.«
    »Na schön, die Rohre sind wirklich ein Indiz«, gab Blagowolski zu. »Fragt sich nur, gegen wen. Ja, ich habe für den armen Studenten die Wohnungsmiete bezahlt. Und ich habe als erster den Leichnam entdeckt. Ist das verdächtig? Vielleicht. |281| Aber mehr nicht. Nein, nein, Herr Prinz, meine Schuld haben Sie nicht bewiesen. Der arme Abaddon gehörte zu den unheilbaren Fällen. Niemand hätte ihn vor dem Selbstmord bewahren können. Er brauchte nur einen Anlaß, um Hand an sich zu legen.«
    Dennoch war zu sehen, daß die Argumente den Dogen beunruhigten, er rutschte wieder auf seinem Stuhl herum und streckte die Hand nach dem bronzenen Tintenfaß aus, als könne das ihm helfen.
    Gendsi erhob sich und ging im Zimmer auf und ab.
    »Und wie war es mit Ophelia? Zählen Sie die auch zu den unheilbaren Fällen? Sie wollte überhaupt nicht sterben, fühlte sich nur von allem Geheimnisvollen angezogen. In der Tat besaß sie Fähigkeiten, für welche die moderne Wissenschaft keine Erklärung hat. Und Sie haben ihre Gabe genutzt. Als ich an Ihrer Statt eine spiritistische Seance leitete und Abaddons Geist rief, hat Ophelia mit ihrer unwahrscheinlichen Empfänglichkeit etwas gespürt oder geahnt. Im Orient glaubt man, daß starke Gefühle lange anhalten. Ein mächtiger Ausbruch von positiver oder negativer geistiger Energie vergeht nicht spurlos. Eben daraus erklärt sich‚ daß manche Orte als ›verflucht‹ oder als ›heilig‹ gelten. Sie haben eine spezifische Aura. Und Menschen wie Ophelia besitzen die seltene Fähigkeit, diese besondere Aura wahrzunehmen. In Trance versetzt, empfand sie die Angst, das Entsetzen und die Ausweglosigkeit, die Abaddon in den letzten Minuten seines Lebens gefühlt hat. Vielleicht auch hat sie unter dem Eindruck seines Abschiedsgedichts die Worte ›Geheul‹ und ›Tier‹ gesprochen, und es war überhaupt keine Mystik dabei, doch Sie bekamen einen Schreck. Wenn nun Ophelia mit ihrer übernatürlichen Gabe den faulen Zauber erfühlte? Denn Sie, Blagowolski, sind bei all Ihrem zynischen |282| Spiel mit der menschlichen Leichtgläubigkeit im Grunde Ihrer Seele selbst ein Mystiker und glauben an allen möglichen Teufelskram.«
    Mir schien, daß Prospero in diesem Moment zusammenzuckte, aber verbürgen kann ich mich nicht.
    Gendsi ließ sich wieder in dem Sessel nieder.
    »Bravo«, sagte er. »Sie sind vorsichtig. Ich hatte, als ich aufstand, den Revolver absichtlich auf dem Tisch liegen lassen, in der Hoffnung, Sie würden versuchen, mich zu töten. In meiner Tasche habe ich meinen treuen ›Herstal‹, und ich hätte Ihnen ruhigen Gewissens den Kopf durchlöchert, dann wäre unser sinnloses Gespräch beendet.«
    »Wieso ›sinnlos‹?« fragte ich. »Sie wollen doch, daß Herr Blagowolski vor Gericht gestellt wird, oder?«
    »Ich fürchte, eine Gerichtsverhandlung bringt mehr Schaden als Nutzen«, antwortete Gendsi und seufzte. »Ein aufsehenerregender Prozeß, phrasendreschende Anwälte, ein imposanter Angeklagter, eine Horde Reporter. Was für eine Reklame für künftige Seelenfänger! Die dürfte nicht einmal das Urteil abschrecken.«
    »Nach dem, was ich bisher gehört habe, kann es nur ein Urteil geben – Freispruch«, sagte Blagowolski und zuckte die Achseln. »Und Ihre Falle mit dem Revolver ist einfach lächerlich. Sehe ich aus wie ein Trottel? Sprechen Sie lieber weiter. Sie erzählen interessant.«
    Gendsi nickte ungerührt.
    »Na schön, also weiter. Nach der von mir geleiteten Seance kamen Sie zu dem Schluß, daß Ophelia Ihnen gefährlich wird. Wenn sie nun jemandem von den hypnotischen Befehlen erzählte, die sie von Ihnen erhalten hatte? Es kommt gar nicht so selten vor, daß ein Medium sich der Macht des Hypnotiseurs entzieht. Bislang hatte Ophelia nur unter |283| Ihrem Einfluß gestanden, doch während der Seance sahen Sie, daß sie sich genauso dem Willen eines anderen fügte … Eines verstand ich nicht: Wie kann man einen Menschen zum Selbstmord bringen, der überhaupt nicht die Absicht hat, sich zu töten? Und ich habe die Antwort gefunden: Ophelias heiliger Glaube an übernatürliche Erscheinungen, ihre unbedingte und unvernünftige Unterordnung unter das Wunder, schließlich ihre zweifellos anomale Psyche – all das machte sich der Unhold zunutze. Zur Verwirklichung seines Plans reichten ihm nur wenige Augenblicke. Die glückliche, von Lebensfreude erfüllte junge Frau ging in ihr Zimmer,

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