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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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eingeladen, die er am wenigsten leiden konnte und die ihn, wie viele bezeugten, am meisten verspottet hatten. Die Unglücklichen hatten eingewilligt, da sie annahmen, daß Soimonow sich endlich mit ihnen aussöhnen wollte, und überdies (wie der Gymnasialinspektor Serdobolin sich ausdrückte) »aus schierer Neugier«, denn noch keiner hatte den Misanthropen je in seiner Wohnung aufgesucht. Wohin diese Neugier führte, ist bekannt.
    Es liegt auf der Hand, daß der Giftmischer dem Teufel nicht nur sein zuwider gewordenes Leben hat darbringen wollen, sondern auch das seiner »Spötter«. Aber was bedeuten die Worte über diejenige, die »zeigte mir der Liebe Sinn«? Steckt hinter der makabren Geschichte womöglich eine Frau?
»Moskauer Kurier« vom 11. (14.) August 1900, S. 2
    L. Shemailo
     
    SELBSTMÖRDERKLUB IN MOSKAU?
    Unser Korrespondent ermittelt auf eigene Faust und äußert eine furchtbare Vermutung!
    Geklärt sind nunmehr die Umstände des Doppelselbstmords, der ganz Moskau erschütterte. Romeo und Julia unserer Tage – das sind der 22-jährige Student Sergej Schutow und die 19-jährige Kursistin Jewdokia Lamm (s. insbesondere unseren Artikel »Eine traurigere Geschichte gibt es nicht« vom 16. August). Die Zeitungen meldeten, daß die Verliebten gleichzeitig, wohl auf ein Signal, mit Pistolen aufeinander geschossen hatten. Dabei wurde die junge Lamm tödlich getroffen, Schutow hingegen erlitt in Herznähe eine schwere Verwundung und wurde ins Marienspital gebracht. Er war bei vollem Bewußtsein, beantwortete jedoch keine Fragen und sagte nur immer wieder: »Warum? Warum? Warum?« Unmittelbar vor seinem Tod lächelte er plötzlich und sagte leise: »Ich gehe, also liebt sie mich.« Die sentimentalen Reporter sahen in der blutigen Geschichte ein romantisches Liebesdrama, |9| doch bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß es hier überhaupt nicht um Liebe geht. Jedenfalls nicht um
Liebe zwischen den Beteiligten der Tragödie
.
    Ihr gehorsamer Diener konnte ermitteln, daß die beiden jungen Menschen, wenn sie denn eheliche Bande angestrebt hätten, durch nichts behindert worden wären. Die Eltern von Fräulein Lamm sind moderne Menschen. Ihr Vater ist Professor an der Moskauer Universität und in Studentenkreisen bekannt für seine fortschrittlichen Ansichten. Nach seinen Worten würde er sich niemals dem Glück seiner vergötterten Tochter widersetzt haben. Schutow wiederum war volljährig und besaß ein wenn auch nicht großes, so doch für ein sorgenfreies Dasein ausreichendes Kapital. Das Paar hätte also ohne weiteres heiraten können! Weshalb schossen sie sich gegenseitig in die Brust?
    Diese Überlegung ließ uns Tag und Nacht keine Ruhe und bewog uns zu einigen Nachforschungen. Dabei stellte sich etwas höchst Sonderbares heraus. Gute Bekannte der beiden Selbstmörder versicherten übereinstimmend, daß Lamm und Schutow lediglich befreundet gewesen seien und keinerlei leidenschaftliche Gefühle füreinander gehegt hätten.
    Nun ja, dachten wir, Bekannte sind oft blind. Vielleicht hatten die jungen Leute ja Gründe, ihre Leidenschaft geheimzuhalten.
    Aber heute fiel uns (fragen Sie nicht, wie, das ist Journalistengeheimnis) ein Gedicht in die Hand, das die Selbstmörder vor ihren tödlichen Schüssen zu Papier brachten. Das poetische Werk ist höchst ungewöhnlich und vielleicht sogar einzigartig. Es ist mit zwei Handschriften geschrieben – offenbar haben Schutow und Lamm abwechselnd je eine Zeile verfaßt. Somit haben wir eine
kollektive
Schöpfung vor uns. Der Inhalt zwingt uns, sowohl den Tod von Romeo und Julia als auch die Selbstmordserie der letzten Wochen in Moskau völlig neu zu sehen.
     
    |10| Er erschien ganz in Weiß. Er stand dort auf der Schwelle.
    Er erschien ganz in Weiß. Durch das Fenster sah er.
    »Liebesbote bin ich. Zu dir schickte Sie mich.«
    »Seine Braut wirst du sein. Dich zu holen, kam ich.«
    Sagte er dann und reichte die Hände mir her.
    Sagte er dann. Die Stimme klang rein und so tief!
    Seine Augen warn schwarz, und sie schauten so hart.
    Seine Augen warn hell, und sie schauten so zart.
    Und ich sprach: »Bin bereit. Warte lang schon auf dich.«
    Und ich sprach: »Gleich komm ich. Überbring: Gleich komm ich.«
     
    Rätsel über Rätsel. Was bedeutet »ganz in Weiß«? Von wem kam der Bote – von Ihr oder Ihm? Wo stand er – auf der Schwelle oder am Fenster? Und was für Augen hatte der geheimnisvolle Herr denn nun – schwarze und harte oder helle und zarte?
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