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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Brunnen, in dem die Kutscher ihre Pferde tränkten, und er sah genauso aus wie in Irkutsk, aber hier, zwischen den granitenen Kaimauern und den eng beieinander stehenden Häusern, wirkte er fad. Warum hatte er sich in all den Monaten gar nicht verändert? Warum war er nicht irgendwie größer oder neuer oder anders geworden?
    Auch Petjas Benehmen war falsch. Er errötete, stammelte. Er wollte sie küssen, traute sich aber nicht, streckte ihr statt dessen linkisch die Hand hin. Colombina blickte voll fröhlicher Verständnislosigkeit auf seine Hand, als hätte sie noch nie einen spaßigeren Gegenstand gesehen. Da wurde er noch verlegener und reichte ihr lila Veilchen.
    Sie zuckte launisch die Achseln. »Was soll ich mit den Blumenleichen?«
    Sie trat zu einer Droschkenstute und hielt ihr das Sträußchen hin. Die Hellbraune faßte es mit labberigen Lippen und verspeiste es.
    »Schnell, wir kommen zu spät«, sagte Petja. »Das ist bei uns nicht üblich. Da bei der Brücke ist die Haltestelle der Pferdebahn. Gehen wir!«
    Er warf einen nervösen Blick auf seine Begleiterin und flüsterte:
    »Die Leute gucken nach Ihnen. In Irkutsk waren Sie anders angezogen.«
    »Genierst du dich mit mir?« fragte Colombina herausfordernd.
    »Ich bitte Sie … dich!« rief er erschrocken. »Ich bin Dichter und verachte die Meinung der Menge. Es ist nur sehr ungewöhnlich … Aber das macht nichts.«
    |32| Ob er sich meiner schämt? dachte sie verwundert. Können Arlecchinos sich überhaupt schämen? Sie betrachtete in einem erleuchteten Schaufenster ihr Spiegelbild und zuckte innerlich zusammen, gar zu auffällig sah sie aus, doch die aufkommende Zaghaftigkeit wurde sogleich mit Schimpf und Schande verscheucht. Dieses erbärmliche Gefühl sollte für immer hinter den Zacken der Ural-Berge zurückbleiben.
    In der Pferdebahn erzählte er ihr halblaut, wo sie jetzt hinfuhren.
    »Solch einen Klub gibt es in Rußland sonst nirgends, nicht mal in Petersburg«, sagte er, und sein Atem kitzelte ihr Ohr. »Da triffst du Leute, solche hast du in Irkutsk noch nicht gesehen! Bei uns trägt jeder einen besonderen, selbst ausgedachten Namen. Mancher wird aber auch vom Dogen verliehen. Mir zum Beispiel hat er den Namen Cherubino gegeben.«
    »Cherubino?« fragte Colombina enttäuscht und dachte dann, Petja habe tatsächlich mehr Ähnlichkeit mit einem lockenköpfigen Pagen als mit dem selbstbewußten und siegreichen Arlecchino.
    Petja mißverstand die Intonation der Frage, er nahm eine stolze Haltung ein.
    »Das ist noch gar nichts. Da gibt es noch ganz andere Namen: Abaddon, Ophelia, Caliban, Horatio. Und Loreley Rubinstein …«
    »Was denn, Loreley Rubinstein ist auch dabei?« staunte die Provinzlerin. »Die Dichterin?«
    Zum Staunen gab es Grund. Die gepfefferten, schamlos sinnlichen Gedichte der Loreley waren mit großer Verspätung nach Irkutsk gelangt. Die fortschrittlichen Fräuleins, die sich in der modernen Poesie auskannten, konnten sie auswendig hersagen.
    |33| »Ja.« Cherubino-Petja nickte gewichtig. »Bei uns heißt sie Löwin der Ekstase. Oder einfach Löwin. Dabei wissen natürlich alle, wer sie in Wirklichkeit ist.«
    Ach, welch süßes Ziehen ging Colombina durch die Brust! Die freigebige Fortuna schickte sich an, ihr die Tür zu der erlesensten Gesellschaft zu öffnen, und sie sah Petja viel zärtlicher an als zuvor.
    Er erzählte weiter.
    »Der wichtigste Mann in dem Zirkel ist Prospero. Solche wie ihn gibt es nur selten, nicht mal einen auf tausend, höchstens einen auf eine Million. Er ist schon hochbetagt, sein Haar ist grau, doch das vergißt man sofort, soviel Kraft, Energie, Magnetismus strahlt er aus. In biblischer Zeit waren Männer wie er sicherlich Propheten. Und genau besehen ist er auch eine Art Prophet. Er hat wegen revolutionärer Tätigkeit lange Jahre in einer Kasematte der Festung Schlüsselburg gesessen, doch er spricht nie über seine früheren Anschauungen, denn er hat sich gänzlich von der Politik abgewandt. Er sagt: Politik, das ist was für die Masse, und das Massenhafte ist niemals schön, denn Schönheit ist stets einzigartig und unwiederholbar. Prospero hat ein düsteres Aussehen, und er ist auch manchmal schroff, aber in Wirklichkeit ist er gütig und großherzig, das wissen alle. Insgeheim unterstützt er bedürftige Anwärter mit Geld. Vor seiner Festungshaft war er Chemieingenieur; jetzt hat er geerbt und ist reich und kann sich das erlauben.«
    »Was sind Anwärter?« fragte Colombina.
    »So nennen

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