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Maienfrost

Maienfrost

Titel: Maienfrost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
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Haus verkommen war, auf Vordermann. In den Nächten jedoch wandte er sich noch immer schweißgebadet in seinem Bett. Der plötzliche Entzug machte sich neben körperlichen Symptomen in schrecklichen Albträumen bemerkbar, aus denen er meist mehr tot als lebendig erwachte.
    Während der Zug angenehm einschläfernd Richtung Norden ratterte, dachte Henning nicht ohne einen gewissen Stolz an die hinter ihm liegenden Wochen, in denen er es trotz harter Tage und Nächte bislang geschafft hatte, trocken zu bleiben.
    Als er wieder einmal aus dem Abteilfenster sah, stellte er erstaunt fest, dass er sich bereits auf dem Rügendamm befand. Beim Anblick der gegen die Küste brandenden Wellen breitete sich in Henning eine kindliche Vorfreude aus. Mit einem gedankenverlorenen Lächeln auf den Lippen dachte er an die Ostsee bei Sonnenuntergang, sah sich am Kap Arkona stehen und vom nördlichsten Punkt der Insel aus die Sonne als glutroten Ball am Horizont – der ihm damals als Junge endlos erschien – untergehen.
    Nun dauerte es nicht mehr allzu lange, bis der Zug in Bergen, der Inselhauptstadt, einlaufen würde: Bergen mit dem Rugard, ihrem Wahrzeichen, auf dem der Ernst-Moritz-Arndt-Turm ragt. Henning hatte ein weiteres Etappenziel seiner Reise erreicht. Am Bahnhof wurde er von Dr. Stiller, dem Anwalt seines Patenonkels erwartet. Seine Kanzlei lag nur wenige Meter vom Bahnhof entfernt. Henning hatte sein Kommen telefonisch angekündigt. Nach einem kurzen Abstecher in die Kanzlei fuhren die beiden Männer im Wagen des Anwalts nach Lobbe, einem kleinen Dorf nahe Göhren, wo sich Julius Bachmanns Anwesen befand. Wie ein Schwamm sog Henning die vorbeiziehende Landschaft in sich auf. Selbstvergessen ließ er seinen Blick über gelb blühende Wiesen und Felder schweifen, auf denen friedlich weidende Pferde, hin und wieder eine Kuhherde, zu sehen waren. Über holprige Pflasterstraßen fuhren sie durch von uralten Bäumen flankierten Alleen, deren Blätterdach sich wie die Kuppel eines gewaltigen Doms über ihnen dehnte. Das zarte Grün der frisch belaubten Bäume bildete einen reizvollen Kontrast zu den dunklen, gleichfalls entlang der Strecke liegenden Nadelwäldern. Mit dem würzigen Duft der Kiefern, der gelegentlich ins Wageninnere drang, verbanden sich Kindheitserinnerungen, die nun, verblassten Fotografien gleich, vor Hennings innerem Auge wieder zum Leben erwachten.
    Wiederholt kamen sie an kleineren Ortschaften vorbei. Die schmucken riedgedeckten Häuschen mit ihren üppig blühenden Vorgärten boten einen malerischen Anblick. Nahezu an jedem der Grundstücke befand sich ein Schild mit dem Hinweis, dass ganzjährig die Möglichkeit bestand, Ferienzimmer oder -Wohnungen zu mieten.
    Kurz vor der südöstlich gelegenen Halbinsel Mönchgut, entdeckte Henning das von einem dichten Wald umgebene Jagdschloss Granitz, von dessen Aussichtsturm man, wie ihm der Anwalt versicherte, einen atemberaubenden Blick über den Bodden bis hin zur Ostsee hatte. Das Herannahen einer schnaufenden Dampflok riss ihn aus seinen Betrachtungen. Laut tutend wurden sie vom ›Rasenden Roland‹, einer Schmalspurbahn, die ein Wahrzeichen der Insel darstellt, überholt. Sie verbindet die Kreisstadt Bergen unter anderem mit den Badeorten Binz, Sellin und Göhren. Eine Attraktion, die man sich nicht entgehen lassen durfte, wenn man hier Urlaub machte. Henning hatte verschiedene Reiseführer studiert und war so bestens informiert. Eingehüllt von grauen Nebelschwaden passierten sie wenig später Baabe, einen kleinen Ort, umgeben von dichtem Kiefernwald, weiten Wiesen und Feldern, Dünen, Meer und See. Hier begann Mönchgut. Nunmehr trennten sie nur noch wenige Kilometer von ihrem Ziel. Lobbe war eines der vielen kleinen idyllisch gelegenen Urlauberdörfer. Gleich nach dem Ortseingangsschild bog der Anwalt in einen holprigen Feldweg ein, der sie nach wenigen Metern zu ihrem Ziel brachte, einem Anwesen, dessen scheinbar gewaltige Ausmaße ein Maschendrahtzaun begrenzte. Die letzten paar Meter über Ackerland rumpelnd, hielt Dr. Stiller vor einem hölzernen Tor, das windschief in seinen Angeln hing, sich jedoch ohne Widerstand öffnen ließ. Ein Gürtel aus Riedgras, der entlang des Zaunes verlief, verlieh dem Grundstück etwas Urwüchsiges. Durch knöcheltiefes Gras wandte sich ein schmaler Pfad, dem die beiden Männer folgten. Nach nur wenigen Schritten bot sich ihren Blicken ein Teich, auf dem Enten, Schwäne und Gänse ihre Runden zogen. Meterhohe Gräser

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