Haus des Blutes
Kapitel 1
Im Nachhinein waren sich alle darüber einig, dass sie besser auf dem abgelegenen Abschnitt des Tennessee-Highway geblieben wären. Der eine oder andere von ihnen, der zu diesem Zeitpunkt noch unter den Lebenden weilte, hätte sicher angemerkt, wie sinnlos es war, etwas ändern zu wollen, das sich nicht ändern ließ – eine Einsicht, zu der für gewöhnlich nur Menschen gelangten, die von äußeren Umständen dazu gezwungen wurden, den egozentrischen kleinen Kosmos ihrer eigenen Psyche hinter sich zu lassen und der Welt da draußen gänzlich unvoreingenommen zu begegnen. Darüber hinaus machten solche Menschen häufig die bittere Erfahrung, dass man sich solche Erkenntnisse auf die harte Tour verdienen musste.
Aber noch lag all das in der fernen Zukunft.
In diesem Moment befanden sich die Reisenden nach wie vor auf der Fernstraße: fünf erschöpfte junge Menschen, die aus einem Urlaub zurückkehrten, der nicht ganz nach Plan verlaufen war. In einen Honda Accord gequetscht, waren sie in ein uraltes Ritual vertieft, das Touristen überall auf der Welt in solchen Situationen praktizierten: sich streiten und gegenseitig auf die Schippe nehmen.
Chad Robbins rutschte unbehaglich auf dem Rücksitz hin und her. »Was für eine unglaublich beschissene Idee.« Er stieß einen gekünstelten Seufzer aus. »Helft mir auf die Sprünge: Wer hat es noch gleich für einen Riesenspaß gehalten, die ach so glücklichen Tage unserer Collegezeit noch mal aufleben zu lassen?«
»Das warst du, Chad. Unter anderem.«
»Leck mich, Dream«, erwiderte Chad. »Ihr musstet mich regelrecht überreden. Monatelang durfte ich mir euer Betteln und Flehen anhören, besonders deins. Ihr Arschlöcher habt mir ’ne Gehirnwäsche verpasst.«
Alicia Jackson grunzte. »So ’n Schwachsinn.«
Dream Weaver, die Besitzerin des Accord, die auch am Steuer saß, sah hinüber zum Beifahrersitz, auf dem es sich eine rotäugige Alicia, die allmählich die Geduld verlor, bequem gemacht hatte. »Alicia, bitte.«
Zu spät.
Alicias Sicherheitsgurt schien sich von ganz alleine abzuschnallen, als sie herumwirbelte, sich in die Lücke zwischen den Vordersitzen lehnte und brüllte: »Niemand hat dir eine Gehirnwäsche verpasst, du Arschloch. Willst du wissen, wessen Idee es war? Meine. Ganz allein meine, und ich hab dich in keiner Weise manipuliert oder bequatscht. Wir haben dich vielleicht zweimal gefragt, ob du mitkommen willst, und das auch nur aus falscher Höflichkeit. Du bist nur hier, weil Dream und ich Mitleid mit dir hatten. Wie immer. Mein Gott, du bist wirklich immer noch derselbe kleine asoziale Freak, den Dream in der High School vor der Prügel der großen Jungs beschützen musste.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem zutiefst verächtlichen Grinsen. »Manches ändert sich eben nie im Leben! Damals warst du schon genauso undankbar.«
Dream umklammerte das Lenkrad noch fester und betete, dass dieser Streit ein schnelles Ende fand. Sie hatte noch nie gut mit den extremen Wutausbrüchen ihrer Freunde umgehen können und musste sich sehr zusammenreißen, um nicht laut loszuheulen. Flennen wäre jetzt ganz schlecht. Denn wenn erst einmal Tränen flossen, würde sie rechts ranfahren und sich erst einmal in Ruhe ausweinen. Und das konnte sehr, sehr lange dauern. Natürlich zögerte sie das Unvermeidliche damit nur weiter hinaus, selbst wenn es ihr gelang, die Schleusentore geschlossen zu halten.
Der Trip nach Key West hatte ein abruptes, vorzeitiges Ende gefunden. Genau genommen war es von Anfang an nicht gut gelaufen. Schon zu Beginn der Reise hatten sich einige über die Unfähigkeit gewisser Personen mokiert, sich an die vereinbarte Abfahrtszeit zu halten – und von da an war die Situation zunehmend entgleist. Da sie das Zusammengehörigkeitsgefühl aus der Collegezeit noch einmal heraufbeschwören wollten, an das sie alle wehmütig zurückdachten, hatten sie beschlossen, gemeinsam in nur zwei Autos zu fahren. Der zweite Wagen, ein VW-Käfer, stand noch immer in Key West. Der Käfer gehörte Dan Bishop, Dreams Freund.
Inzwischen war es ihr Exfreund.
Der vermutlich immer noch im Zimmer 206 des Paradise Inn wohnte. Am sechsten Tag ihres Aufenthalts war Dream früher als geplant von einer Shoppingtour mit Alicia und Karen Hidecki zurückgekommen. Als sie die Tür zu Zimmer 206 öffnete, ertappte sie Dan in einer Position, die sich wohl am ehesten als kompromittierend bezeichnen ließ. Genauer gesagt kompromittierte sie gewisse
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