Maigret und der gelbe Hund
und er hat so mindestens drei Schritte getan …«
Fünf Männer … sechs … sieben … Und Fenster, die sich da und dort auftun, Geraune …
Der Arzt, im Schlamm kniend, verkündet:
»Eine Kugel aus nächster Nähe direkt in den Bauch … Man muß dringend operieren … Jemand soll das Krankenhaus anrufen …«
Alle haben den Verletzten erkannt, Monsieur Mostaguen, der größte Weinhändler von Concarneau, ein gemütlicher Dicker, der nur Freunde hat.
Die beiden Polizisten in Uniform – einer davon hat sein Käppi nicht auftreiben können – wissen nicht, wo sie mit ihren Ermittlungen beginnen sollen.
Jemand sagt etwas, Monsieur Le Pommeret, dem man wegen seines Benehmens und seines Tonfalls auf den ersten Blick ansieht, daß er zu den Notabeln gehört.
»Wir haben gemeinsam Karten gespielt, im Café des Hotels, mit Servières und Doktor Michoux … Der Doktor ist als erster gegangen, vor einer halben Stunde … Mostaguen hat uns aus Angst vor seiner Frau um Punkt elf Uhr verlassen …«
Ein tragikomischer Zwischenfall. Alle hören Monsieur Le Pommeret zu. Man vergißt den Verletzten. Und da öffnet dieser die Augen, versucht aufzustehen, und mit Verwunderung in der Stimme, die so sanft und zart ist, daß das Serviermädchen in ein nervöses Lachen ausbricht, murmelt er:
»Was ist denn?«
Doch ein Krampf schüttelt ihn. Seine Lippen beben. Die Gesichtsmuskeln ziehen sich zusammen, während der Arzt seine Spritze für eine Injektion vorbereitet.
Der gelbe Hund läuft den Leuten zwischen den Beinen herum. Jemand wundert sich.
»Kennen Sie dieses Tier?«
»Noch nie gesehen …«
»Bestimmt ein Hund von einem Schiff …«
In der dramatischen Atmosphäre hat dieser Hund etwas Beunruhigendes. Vielleicht wegen seiner Farbe, ein schmutziges Gelb? Es ist ein mageres Tier mit hohen Läufen, und sein dicker Kopf erinnert gleichermaßen an einen Hofhund und an eine Dogge.
Fünf Meter von der Gruppe entfernt vernehmen die Polizisten den Zöllner, der einziger Zeuge des Vorfalls ist.
Man schaut auf den Eingang mit den zwei Stufen. Es handelt sich um den Eingang eines großen Bürgerhauses, dessen Fensterläden geschlossen sind. Rechts von der Tür kündigt eine Bekanntmachung die öffentliche Versteigerung des Gebäudes für den 18. November an:
Preisansatz 80000 Francs
Ein Polizeisergeant müht sich eine Weile vergeblich damit ab, das Schloß zu sprengen, und schließlich gelingt es dem Chef der benachbarten Autowerkstatt, es mit Hilfe eines Schraubenziehers aufzubekommen.
Der Krankenwagen trifft ein. Monsieur Mostaguen wird auf eine Tragbahre gehievt. Den Neugierigen bleibt nichts weiter mehr übrig, als sich das leerstehende Haus anzusehen.
Seit einem Jahr wird es nicht mehr bewohnt. Im Flur herrscht ein penetranter Geruch von Staub und Tabak. Der Strahl einer Taschenlampe fällt auf Zigarettenasche und Spuren von Schlamm auf den Bodenfliesen, was beweist, daß jemand ziemlich lange hinter der Tür auf der Lauer gelegen hat.
Ein Mann, bloß mit einem Mantel über seinem Schlafanzug, sagt zu seiner Frau:
»Komm! Es gibt nichts mehr zu sehen … Den Rest erfahren wir morgen in der Zeitung … Monsieur Servières ist da …«
Servières ist ein kleiner, rundlicher Herr in einem graubeigen Überzieher, der sich mit Monsieur Le Pommeret im Hôtel de l’Amiral befand. Er ist Redakteur bei der Zeitung Phare de Brest , wo er unter anderem jeden Sonntag eine humoristische Glosse veröffentlicht. Er macht sich Notizen, gibt den beiden Polizisten Hinweise, wenn nicht gar Befehle.
Die Türen, die zum Flur hinaus liegen, sind abgesperrt. Jene am Ende des Flurs, die zu einem Garten führt, ist offen. Der Garten ist von einer Mauer umschlossen, die nicht einmal einen Meter fünfzig hoch ist. Ein Gäßchen auf der anderen Seite der Mauer mündet auf den Quai de l’Aiguillon.
»Der Mörder ist da hinüber!« verkündet Servières. Am andern Morgen rekonstruierte Maigret den Gang der Ereignisse, so gut es ging.
Seit einem Monat war er zur mobilen Brigade von Rennes beordert, wo bestimmte Abteilungen neu zu organisieren waren. Er hatte einen Telefonanruf des beunruhigten Bürgermeisters von Concarneau erhalten.
Und in Begleitung von Leroy, eines Inspektors, mit dem er noch nie zusammengearbeitet hatte, war er in diese Stadt gekommen.
Der Sturm hatte sich nicht gelegt. Manche Böen ließen dicke Wolken über der Stadt auseinanderplatzen, die in eisigem Regen niedergingen. Kein einziges Schiff lief aus,
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