Make it count - Gefühlsbeben (German Edition)
berühren.
„Wenn ich nicht hier gewesen wäre, hätte dich dieser verdammte Zug frontal bei voller Fahrt erwischt!“
Er schreit wütend zurück und ich sehe das verräterische Funkeln in seinen Augen. Er macht sich Sorgen. Ich kenne solche Blicke. Ja, der Zug hätte mich erwischt. Und ja, das sollte er auch. Nur zugeben kann ich es nicht. Weil ich eben doch so feige bin wie damals. Daran hat sich noch immer nichts geändert und ich hasse mich dafür. Jeden Tag ein bisschen mehr.
„Bullshit! Ich wäre ausgewichen!“
Während ich ihm das förmlich ins Gesicht spucke, stehe ich auf und merke, wie sehr meine Beine noch zittern – aber ich will nicht, dass er es sieht. Er soll nicht merken, wie knapp das alles war … Nicht der Zug. Damit hätte ich vielleicht noch umgehen können. Aber nicht mit seinem Blick oder seiner Nähe.
Mit langsam fester werdenden Schritten gehe ich in Richtung meines Wagens, den ich irgendwo bei dem verlassenen Güterbahnhof geparkt habe. In der Nacht ist die Gegend hier nicht unbedingt der Ort, an dem sich College-Mädchen rumtreiben sollten. Als ob mich so was jemals interessiert oder von Dingen abgehalten hat. Das mag auch daran liegen, dass ich eben nicht das typische College-Mädchen bin. Und auch niemals sein werde …
„Lynn! Was sollte das?“
Zu dumm, dass er sich nicht abschütteln lässt und mir folgt. Natürlich. Wir reden hier noch immer über Jared. Der Jared, der sich alleine schon aus Berufsgründen überall einmischen muss, und der, wenn es sein muss, ordentlich austeilen kann. Nur einmal habe ich gesehen, wie der Faustschlag eines Typen mit der Statur eines Bären ihn zu Boden gezwungen hat. Sonst scheint ihm nichts etwas anhaben zu können. Ich werde mich nicht umdrehen, ich werde nicht mit ihm reden. Ich werde nicht den Fehler machen und ihn – ausgerechnet ihn – wieder so nah an mich ranlassen. Das habe ich mir geschworen und daran werde ich mich festklammern.
Er packt mich am Oberarm und dreht mich zu ihm um. Die Wut ist in seinen Blick zurückgekehrt.
„Du wolltest ausweichen?“
„Ich weiche den Zügen aus, seitdem ich laufen kann! Mach keine große Sache draus, ja?“
„Willst du mich verarschen?“
Seine Stimme zittert, als er lauter wird und ungläubig den Kopf schüttelt. Er soll sich um mich keine Sorgen machen. Was passieren soll, wird passieren. Das kann niemand aufhalten, soviel habe ich gelernt.
„Du standest wie erstarrt da! Was ist nur los mit dir?“
Zu viel, als dass er es verstehen würde. Zu viel, als dass ich es ihm erzählen könnte. Er war vorhin doch dabei, als Trevor in der Kneipe mal wieder auf den Putz hauen musste. Ich bin es leid, immer so zu tun, als würden mich solche Sprüche nicht so hart treffen, wie Faustschläge in einem Boxkampf.
„Lass mich los.“
Meine Stimme klingt erstaunlich ruhig und kühl, als ich auf seine Hand blicke, die meinen Oberarm noch immer fest umklammert hält. Wenn er mich nicht bald loslässt, kann ich für nichts mehr garantieren. Meine Wut, die Enttäuschung über mich, Trevor – das alles wirkt wie eine gefährliche Mischung in meinen Adern.
„Nur, wenn du mir sagst, was das sollte.“
„Es war eine Mutprobe. Nicht mehr und nicht weniger.“
„Eine deiner berühmten Mutproben, ja?“
Er darf das Gerede von Trevor nicht glauben. Es ist Unsinn. Totaler Bullshit. Dennoch ist es besser als die Wahrheit. Ich kann die ehrliche Besorgnis in seinem Blick sehen, aber das gibt ihm nicht das Recht, sich als mein Beschützer aufzuspielen.
„Tu nicht so, als ob du mich kennst, Jared!“
Er zieht mich das letzte Stück an ihn und ich pralle gegen seine muskulöse Brust, die sich deutlich unter seinem engen, schwarzen T-Shirt abzeichnet. Mein Blick bleibt an seiner Kette hängen: es ist die klassische Hundemarke eines jeden Soldaten. Jared Parker und die Army? So ganz kann ich ihn mir in Uniform nicht vorstellen. Langsam und ungewollt greift meine Hand nach seiner Kette.
„Wann warst du denn in der Army?“
Bevor ich sie mir genauer ansehen kann, reißt er sie mir aus der Hand. Erinnerungen ziehen durch seine klaren Augen, bevor er mich verletzt anfunkelt.
„Das geht dich nichts an!“
Er umschließt den Anhänger mit seiner Hand und sein Blick lässt mich keine Sekunde aus den Augen. Er ist, das wird mir hier auf dem Feld am Güterbahnhof schlagartig bewusst, ebenso zerbrochen wie ich es bin. Wir sind kaputt und würden, wenn wir es zulassen, in den Armen des anderen nur noch mehr
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