Make it count - Gefühlsbeben (German Edition)
Kapitel 1
Die Scheinwerfer blenden mich, aber ich wehre mich gegen den Reflex, die Augen zu schließen. Ich will ihn kommen sehen, will ihm in die Augen sehen, wenn es passiert.
Keine Ausreden!
Kein Kneifen!
Nicht diesmal!
Ausweichen nicht erlaubt!
Die Schienen unter meinen Füßen vibrieren und mein Herz klopft viel zu heftig gegen meinen Brustkorb. Zu viele Bilder meiner Vergangenheit rasen mir durch den Kopf – ich will lachen, weinen und schreien zugleich. Sekunden fühlen sich wie Minuten, nein, wie Stunden an.
Noch könnte ich es schaffen.
Nur ein Sprung.
Nur einige Schritte.
Nein, nicht diesmal!
Ich warte ... Auf das, was danach mit einem passiert ...
Der leichte Sommerwind fühlt sich plötzlich wie ein ausgewachsener Sturm auf meinen nackten Armen an, zerrt an meinem leichten Top, das ich heute morgen achtlos aus meinem Schrank im Wohnheim gefischt habe. Heute morgen war alles noch okay, niemals hätte ich gedacht, dass es so weit kommen wird. Nie habe ich es so ernst gemeint wie heute. Aber ich habe nichts mehr zu verlieren …
Und dann tue ich es doch: Ich schließe die Augen.
Wie feige, Lynn. Wie verdammt feige.
Fast meine ich, seine Stimme zu hören. Dabei kann das gar nicht sein. Viel zu lange hat er schon geschwiegen ... Kein Wort ... Nur eine Erinnerung an das, was einmal war. Er hatte die Augen geöffnet. Daran kann ich mich noch genau erinnern. Weil sein Blick panisch zu mir huschte, dazu dieses traurige Lächeln, das sich so oft auf sein Gesicht verirrt hat. Traurig, weil er wusste, dass es zu spät war.
Das Hupen klingt sehr nah. Nicht mehr so weit entfernt wie eben noch. Jetzt ist es zu spät. Jetzt hat sich alles entschieden. Meine letzte Mutprobe. Ich schließe die Augen, so fest ich nur kann, und balle die Hände zu Fäusten. So hätte es damals schon sein sollen. Zu meiner Erinnerung mischt sich eine ordentliche Portion Wut. Wut darüber, dass ich Dinge nicht mehr verändern kann. Ein letztes Mal hole ich tief Luft.
Der Aufprall tut weh und schüttelt mich so hart durch, dass mir kurz das Atmen schwerfällt und ich husten muss. So hatte ich es mir nicht vorgestellt. Irgendwie schlimmer, schmerzhafter und … endgültiger .
„Bist du komplett bescheuert? Was hast du dir dabei gedacht?”
Seine Stimme klingt viel zu laut in meinen Ohren und das Gewicht seines Körpers drückt mich auf den harten Boden. Aber es ist nicht seine Stimme. Zögernd öffne ich die Augen und sehe in das Gesicht eines Mannes – in ein mir bekanntes Gesicht, das mir aber bei weitem nicht so vertraut ist, wie ich erwartet habe. Eisklare blaue Augen starren mich wütend an, seine hellbraunen Haare hängen ihm wirr in die Stirn, die Lippen sind leicht geöffnet, er atmet schwer und die Wut in seinem Blick trifft mich so heftig, wie es der Zug hätte tun sollen. Kurz bleibt mir nicht nur die Luft, sondern auch jegliches Sprachvermögen weg: Jared Parker.
„Du hättest draufgehen können!“
Er legt eine Hand an meine Wange und zwingt mich so, ihn anzusehen. Die Nähe seines Körpers will mich um den Verstand bringen, seine Haut auf meiner, sein Atem auf meinen Lippen. Nur Zentimeter trennen uns. Die Wut aus seinem Blick weicht einem zärtlichen Ausdruck, als sein Daumen sanft meine Wange streichelt … Zu viel. Das ist zu viel.
„Das darfst du nicht machen, Lynn ...“
Seine Stimme ist nur noch ein Flüstern, das lauter als der Wind und der vorbeirasende Zug klingt, und mich an einer Stelle in meinem Inneren berührt, die ich für immer begraben wollte. Er darf das nicht tun. Nicht mit mir. Nicht heute Nacht. Er ist mir viel zu nah und wird meinen Herzschlag spüren können, so wie ich seinen spüren kann. Jareds Herz rast und ich kann sehen, wie sein Brustkorb sich schnell hebt und senkt. Wenn ich noch eine Sekunde mit ihm hier liege, werde ich aufgeben. Zerbrechen unter seinem Blick. Wie gerne würde ich das tun. Wie gerne würde ich dem Impuls nachgeben, ihn zu küssen. Seine Lippen auf meinen zu spüren, seine Zunge zu schmecken, seine Hände auf meinem Körper …
Ich stoße ihn heftig und hart gegen die Brust und schiebe ihn damit von mir runter. Nein, ich darf nicht zerbrechen! Auch nicht bei ihm.
„Ich habe dich nicht darum gebeten, hier zu sein!“
Schnell bringe ich so viel Abstand wie möglich zwischen unsere Körper. Eigentlich will ich nicht schreien, aber nur so kann ich ihn von mir schubsen. Nur so kann ich sichergehen, dass er nicht wieder versuchen wird, mich zu
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