Malerische Morde
zuckte mit den Schultern. »Er hatte mir versprochen, mich hier in Empfang zu nehmen, wenn ich ankomme. Ich hätte bei ihm zu Hause in Zingsheim wohnen können, bis ich was anderes gefunden habe. Das würde mich davor bewahren, schon am ersten Abend vor Tante Hettie zu Kreuze kriechen zu müssen. Ich hätte erst mal Kräfte sammeln können, versteht ihr?«
Die beiden nickten verständig. Auch Domingo setzte ein ahnungsvolles Gesicht auf, während er Gläser polierte.
Herbie ließ sich das schnurlose Telefon geben, kramte einen Zettel hervor und begann eine Nummer einzutippen.
»Immer noch kein Handy?«, fragte Harald.
Herbie schüttelte den Kopf, während er die Ziffern leise vor sich hinmurmelte.
»Kein Auto?«, fragte Theo. Wieder verneinte Herbie wortlos.
Als er den Hörer ans Ohr presste und auf die Verbindung wartete, sagte er tonlos: »Kein Handy, kein Auto, keine Wohnung, keine Freundin … ist doch konsequent, oder?«
Die Verbindung wurde hergestellt.
»Wer? … Oh, Verzeihung, ich dachte, das sei die Telefonnummer eines Freundes … Wie bitte? … Ach so. Ja … hm … hmmm … hmmm ja … Im Moment habe ich keinen festen Wohnsitz. Ja, ich weiß, das klingt mysteriös, aber ich sitze hier in Münstereifel im Café T, und eigentlich wollte Köbes, … also Jakob Nießen mir eine Wohnung besorgen. Ich ziehe gerade aus München zurück in die Eifel, verstehen Sie?«
Die beiden anderen verfolgten interessiert das Gespräch. Am anderen Ende schien jemand sehr energisch auf seinen Gesprächspartner einzureden. Aus Herbies Miene konnte man allerhand lesen: Erstaunen, Verwirrung, Nervosität.
»Kann ich ihn vielleicht kurz … ja … ja, das versuche ich dann noch mal … Wie bitte? … Am besten hier im Café. Ich werde sehen, wo ich unterkomme … Ja, danke … bitte. Auf Wiederhören.«
»Was passiert?«, fragte Harald. »Klang geheimnisvoll.«
»Das glaubt ihr mir nie«, murmelte Herbie. »Das waren die Bullen. Kripo Wittlich. Die haben Köbes‘ Handy. Weil sie Köbes verhaftet haben. Glaubt man so was?«
»Köbes?«, fragte Theo. Er kannte den zotteligen Gebrauchtwagenverkäufer als zuverlässigen Saufkumpanen aus wilden Jugendtagen. »Kripo? Verhaftet?«
Herbie nickte. »In dieser Reihenfolge. Es hat zwei Tote gegeben. In der Vulkaneifel. An einem der Maare. Und Köbes soll was damit zu tun haben. Kaum zu glauben, so was.«
Er bestellte noch einen Schnaps und kippte ihn in einem Zug hinunter. »So was«, murmelte er. »So was passiert einem nur in der Eifel.«
Zweites Kapitel
Eine Stunde später stieg er durch die laue Frühsommernacht den Berg zur Windhecke hinauf. Der Quadratmeter Baugrund war dort oben kostbar und teuer wie nirgendwo sonst im Kreis Euskirchen. Hier wohnten keine armen Menschen, wie er einer war. Hier wohnte Tante Hettie. Er wechselte alle fünfzehn Schritte den Koffer, der von Meter zu Meter an Gewicht zu gewinnen schien, von einer Hand in die andere.
Harald und Theo hatten es gut. Sie waren auf dem Weg in ihr Zuhause, in weichgelegene Matratzen, sie würden bis zum Morgen von einem vertrauten Geruch umgeben sein, von einer heimeligen Umgebung und von Möbeln, Büchern, Teppichen – ja, sogar von Spinnweben und Staubschichten, die zu ihrem Zuhause dazugehörten. Sie hatten ein Heim. Ihm war nichts geblieben. Er war allein.
Beide hatten ihm, als sie sich aus dem nächtlich-leeren Bistro verabschiedet hatten, angeboten, ein oder zwei Nächte bei ihnen zu verbringen. Sogar der Kellner – das hatte er gemerkt – hatte mit sich gerungen, ob er Herbie nicht vielleicht Asyl anbieten solle.
Aber all das wäre nur ein allzu bequemer Aufschub gewesen. Irgendwann musste es passieren.
Er musste tun, was zu tun war.
Sie war seine Tante, sie war sein Vormund – sie hortete sein Geld.
Es war an der Zeit, Tante Hettie einen Besuch abzustatten.
Er stapfte unverdrossen weiter durch die Nacht, stieg den gepflasterten Weg entlang der alten Stadtmauer hinauf. Er wunderte sich, dass die wenigen Habseligkeiten, die allesamt in seinen Koffer hineinpassten, so schwer werden konnten.
Wie sollte er nur Tante Hettie erklären, was passiert war? Wie würde sie ihn empfangen?
Hältst du das für eine gute Idee?
Herbie vernahm eine Stimme schräg hinter sich. Sie schien geradewegs aus der Weißdornhecke zu kommen, die die alte Stadtmauer säumte. Die Luft war warm, die Sträucher atmeten die Sonne aus. Es roch süßlich und schwer.
Die Stimme war ihm wohlbekannt. Es war eine dunkle, leicht
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