Malina
und denke, wenn er nicht sofort etwas sagt, wenn er mich nicht aufhält, ist es Mord, und ich entferne mich, weil ich es nicht mehr sagen kann. Es ist nicht mehr ganz furchtbar, nur unser Auseinandergeraten ist furchtbarer als jedes Aneinandergeraten. Ich habe in Ivan gelebt und ich sterbe in Malina.
Malina trinkt noch immer seinen Kaffee. Es ist ein ›Holla‹ zu hören vom anderen Hoffenster herüber. Ich bin an die Wand gegangen, ich gehe in die Wand, ich halte den Atem an. Ich hätte noch auf einen Zettel schreiben müssen: Es war nicht Malina. Aber die Wand tut sich auf, ich bin in der Wand, und für Malina kann nur der Riß zu sehen sein, den wir schon lange gesehen haben. Er wird denken, daß ich aus dem Zimmer gegangen bin.
Das Telefon läutet, Malina hebt es ab, er spielt mit meiner Sonnenbrille und zerbricht sie, er spielt dann mit einem blauen Glaswürfel, der doch mir gehört. Nie gedankt dem Absender, Spender unbekannt. Er spielt aber nicht nur, denn er rückt schon meinen Leuchter weg. Er sagt: Hallo! Eine Weile sagt Malina nichts, dann kalt und ungeduldig: Sie haben sich in der Nummer geirrt.
Er hat meine Brille zerbrochen, er wirft sie in denPapierkorb, es sind meine Augen, er schleudert den blauen Glaswürfel nach, es ist der zweite Stein aus einem Traum, er läßt meine Kaffeeschale verschwinden, er versucht, eine Schallplatte zu zerbrechen, sie bricht aber nicht, sie biegt sich und leistet den größten Widerstand, und dann kracht es doch, er räumt den Tisch ab, er zerreißt ein paar Briefe, er wirft mein Vermächtnis weg, es fällt alles in den Papierkorb. Er läßt eine Blechbüchse mit Schlaftabletten zwischen die Papierfetzen fallen, sucht noch etwas und schaut um sich, er räumt den Leuchter noch weiter weg, versteckt ihn zuletzt, als könnten die Kinder ihn jemals erreichen, und es ist etwas in der Wand, es kann nicht mehr schreien, aber es schreit doch: Ivan!
Malina sieht genau um sich, er sieht alles, aber er hört nicht mehr. Nur seine kleine grüngerandete Schale steht noch da, sie allein, das Beweisstück, daß er allein ist. Das Telefon läutet wieder. Malina zögert, aber er geht doch wieder hin. Er weiß, es ist Ivan. Malina sagt: Hallo? Und wieder sagt er eine Weile nichts.
Wie bitte?
Nein?
Dann habe ich mich nicht richtig ausgedrückt.
Es muß ein Irrtum sein.
Die Nummer ist 72 31 44.
Ja, Ungargasse 6.
Nein, gibt es nicht.
Hier ist keine Frau.
Ich sage doch, hier war nie jemand dieses Namens.
Es gibt sonst niemand hier.
Meine Nummer ist 72 31 44.
Mein Name?
Malina.
Schritte, immerzu Malinas Schritte, leiser die Schritte, leiseste Schritte. Ein Stillstehen. Kein Alarm, keine Sirenen. Es kommt niemand zu Hilfe. Der Rettungswagen nicht und nicht die Polizei. Es ist eine sehr alte, eine sehr starke Wand, aus der niemand fallen kann, die niemand aufbrechen kann, aus der nie mehr etwas laut werden kann.
Es war Mord.
Nachwort
Elfriede Jelinek
Der Krieg mit anderen Mitteln
Über Ingeborg Bachmann
»Es gibt nicht Krieg und Frieden, es gibt nur den Krieg«, sagte die Bachmann kurz vor ihrem Tod. Ich halte also den ewigen wie den neuen Harmonisierungsautoren und Beschwichtigungsvorturnern die Rißautorin Ingeborg Bachmann entgegen, aber keineswegs wie eine heilige Monstranz. Ihre vollendeten Gedichte fanden schon früh den Beifall der Kritiker, die sich wohlig gruselnd einrichteten in den Schreien der Dichterin (»Mein Teil, es soll verloren gehen«, »und ich verzweifle noch vor Verzweiflung«, »Frühling wird nicht mehr werden«, »Ich will nichts mehr für mich. Ich will zugrunde gehn«). Denn die Schreie der Lyrik klingen gut nach einem gepflegten Essen. Außerdem kann man den Ton ja leiser drehen. Doch die große Prosa der Bachmann, »Todesarten«, unvollendet geblieben, entfachte eine feuilletonistische Hetzjagd, auf der die »Macher« (ein Wort aus der universaldeutschen Sprache, das die Bachmann hätte zusammenzucken lassen) des deutschen Kulturbetriebs einander schon vom Start weg rempelten und boxten, um nur ja als erste ins Ziel zu kommen.
Inzwischen hat man sich in den Biographien der Dichter gemütlich niedergelassen, Eintritt frei, um sich nicht in ihren Werken niederlassen zu müssen, die ein härteres Lager sind. Die eine verbrennende Frau im Synthetiknachthemd (dieser schreckliche Tod der Bachmann), in sicherem Abstand vom warmen Ofen konsumierbar, ist – leider für allzu viele Feministinnen – gleich allen Frauen. Denn das Leid dieser
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