Malina
abheften.
Sehr geehrter Herr Richter,
Sie waren so gütig, mir in einigen, für mich völlig belanglosen Rechtsfragen auf das freundlichste beizustehen. Ich denke da vor allem an die Affäre B. Sie ist mir natürlich nicht wichtig. Aber da Sie ein Jurist sind, ich mich schon damals vertrauensvoll an Sie wenden durfte, und Sie mir, ohne Rechnungen zu stellen, so überaus großzügig geholfen haben, und ich heute, hier in Wien, niemand fragen kann, möchte ich Sie fragen, wie man ein Testament macht. Es gibt einiges für mich zu ordnen, ich habe ja immerzu in der größten Unordnung gelebt, aber die Zeit ist wohl gekommen, in der auch ich in eine Ordnung kommen muß. Meinen Sie, daß es zum Beispiel genügt, handschriftlich oder daß ich mich mit Ihnen treffen oder daß ich ...
Lieber Herr Doktor Richter,
ich schreibe Ihnen in höchster Angst und fliegender Eile, denn ... ich schreibe Ihnen in höchster Angst, ich möchte noch einige Dinge in Ordnung bringen, sie betreffen ja nicht vieles, nur meine Papiere, einige wenige Gegenstände, an denen ich allerdings sehr hänge, und ich möchte nicht, daß sie, diese Gegenstände, in fremde Hände kommen. Ich weiß mir leider keinen Rat, ich darf Ihnen aber sagen, daß ich mir alles sehr genau überlegt habe. Da ich keine Angehörigen habe, wünsche ich (ist das schon rechtskräftig?), daß ein blauer Glaswürfel, insbesondere eine kleine grün gerandete Kaffeeschale und ein alter chinesischer Glücksbringer, der weiter nichts darstellt als Himmel, Erde und Mond, jemand für immer gehören sollen. Ich führe dann noch den Namen auf. Meine Papiere hingegen, und soweit dürften selbst Sie meine unhaltbare Lage kennen ... Ich habe seit Tagen nichts mehr gegessen, ich kann nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, es handelt sich auch nicht um Geld, da ich keines mehr habe, ich bin ja in Wien völlig isoliert, abgetrennt von dem Rest der Welt, in dem man Geld verdient und ißt, und da Sie meine Lage vielleicht ...
Sehr geehrter und lieber Herr Doktor Richter,
niemand als Sie wird besser wissen, daß ich gezwungen bin, verschiedener Umstände wegen, ein Testament zu machen. Testamente, Friedhöfe, letzte Verfügungen haben mir in jedem Fall, seit jeher, das größte Grausen eingejagt, es bedarf ja wohl keiner Testamente. Trotzdem wende ich mich heute an Sie, weil Sie, als Jurist, vielleicht imstande sein werden, meine gänzlich ungeklärte Lage, meine vielleicht auch unklärbare Lage zu verstehen und in eine Ordnung zu bringen, nach der ich das größte Verlangen habe. Alle meine persönlichen, meine privatesten Dinge sind zu übergeben an jemand, ich füge den Namen bei auf einem Extrablatt. Eine andere Frage stellt sich mir, der Papiere wegen. Es sind keine unbeschriebenen Papiere, es sind allerdings Papiere ohne Wert, Wertpapiere habe ich nie besessen. Trotzdem ist es sehr wichtig für mich, daß meine Papiere nur Herrn Malina übergeben werden dürfen, den Sie, meines Wissens, bei Ihrem so kurzen Aufenthalt in Wien, einmal gesehen haben. Aber ich erinnere mich nicht mehr sehr genau, ich mag mich da irren, in jedem Fall, für einen äußersten Fall, nenne ich Ihnen diesen Namen ...
Lieber Herr Doktor Richter,
ich schreibe Ihnen heute in höchster Angst und fliegender Eile, ich bin völlig unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, aber wer hat je einen klaren Gedanken gefaßt? Meine Situation ist eine völlig unhaltbare geworden, sie war vielleicht überhaupt nie haltbar. Es soll zuletzt aber noch heißen: Es war nicht Herr Malina, es war auch nicht Ivan, ein Name, der Ihnen nichts sagt. Ich erkläre es Ihnen später, inwiefern er mit meinem Leben zu tun hat. Was mit meinen persönlichsten Gegenständen geschieht, hat heute keine Bedeutung mehr für mich.
Sehr verehrter und lieber Herr Richter,
ich mute Ihnen vielleicht zuviel zu, aber ich schreibe Ihnen in höchster Angst und fliegender Eile. Können Sie mir, Sie, ein Jurist von so großen Kenntnissen im Recht, verraten, wie man ein gültiges Testament macht? Ich weiß es leider nicht, aber ich bin, aus verschiedenen Gründen, gezwungen ...
Bitte antworten Sie mir sofort, wenn möglich sofort, nachdem Sie meinen Brief erhalten haben!
Wien, den ...
Eine Unbekannte.
Es ist Malinas freier Tag, ich hätte den Tag lieber alleine verbracht, aber Malina ist durch nichts zu bewegen, aus dem Haus zu gehen, obwohl etwas Feindliches zwischen uns ist. Es beginnt schon damit, daß er ungehalten und hungrig ist, wir
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