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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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essen früher als sonst, ich zünde den Leuchter an, der sonst nur für Ivan brennt. Der Tisch scheint mir richtig gedeckt zu sein, aber es gibt nur Aufschnitt, und leider habe ich das Brot vergessen. Malina sagt zwar nichts, aber ich weiß, was er denkt.

    Ich: Seit wann haben wir einen Sprung in der Wand?
    Malina: Ich erinnere mich nicht, es muß ihn schon lange geben.
    Ich: Seit wann haben wir dunkle Schatten über der Zentralheizung?
    Malina: Etwas müssen wir doch an der Wand haben, wenn wir schon keine Bilder aufhängen.
    Ich: Ich brauche weiße Wände, schadlose Wände, ich sehe mich sonst gleich wohnen in Goyas letztem Raum. Denk an den Hundekopf aus der Tiefe, all die finsteren Umtriebe auf der Wand, aus seiner letzten Zeit. Nie hättest du mir in Madrid diesen Raum zeigen dürfen.
    Malina: Ich war doch nie in Madrid mit dir. Erzähl keine Märchen.
    Ich: Das ist doch völlig gleichgültig, ich war jedenfalls dort, Monseigneur, mit oder ohne deine Erlaubnis. Ich entdecke Spinnweben oben an den Wänden, schau bitte, wie verwebt alles ist!
    Malina: Hast du denn nichts anzuziehen, warum trägst du meinen alten Morgenrock?
    Ich: Weil ich eben nichts mehr anzuziehen habe. Ist dir nicht einmal der Satz untergekommen: siam contenti, sono un uomo, ho fatto questa caricatura.
    Malina: Ich glaube, es heißt, sono dio. Die Götter sterben viele, viele Tode.
    Ich: Die Menschen, nicht die Götter.
    Malina: Warum bringst du immerzu solche Korrekturen an?
    Ich: Ich darf sie doch anbringen, weil ich zu einer Karikatur geworden bin, im Geist und im Fleisch. Sind wir nun zufrieden?
    Malina geht aus dem Zimmer, in sein Zimmer, und kommt mit einer Zündholzschachtel wieder. Die Kerze im Leuchter ist niedergebrannt. Ich habe vergessen, neue Kerzen zu kaufen. Malina muß zufrieden sein. Ich könnte ihn noch einmal um Ratfragen, was vor sich geht und wie es vor sich geht, obwohl die Spannung und die Feindseligkeiten für mich immer deutlicher zu spüren sind.

    Ich: Es muß schon etwas bei den Primaten und spätestens bei den Hominiden danebengegangen sein. Ein Mann, eine Frau ... seltsame Worte, seltsamer Wahn! Wer von uns beiden wird summa cum laude bestehen? Ich, das ist ein Irrtum für mich gewesen. Ist es vielleicht ein Gegenstand?
    Malina: Nein.
    Ich: Es ist aber doch hier und heute?
    Malina: Ja.
    Ich: Hat es eine Geschichte?
    Malina: Nicht mehr.
    Ich: Kannst du es berühren?
    Malina: Niemals.
    Ich: Aber du mußt mich behalten!
    Malina: Muß ich? Wie willst du denn genommen werden?
    Ich: (con fuoco) Ich hasse dich.
    Malina: Sprichst du zu mir, hast du etwas gesagt?
    Ich: (forte) Herr von Malina, Euer Gnaden, Magnifizenz! (crescendo) Eure Herrlichkeit und Allmächtigkeit, ich hasse Sie! (fortissimo) Tausch mich meinetwegenum, tauschen wir ab, Euer Ehren! (tutto il clavicembalo) Ich hasse dich! (perdendo le forze, dolente) Bitte, behalt mich doch. Ich habe dich nie gehaßt.
    Malina: Ich glaube dir kein einziges Wort, ich glaub dir nur alle Worte zusammen.
    Ich: (dolente) Verlaß mich nicht! (cantabile assai) Du mich verlassen! (senza pedale) Ich wollte erzählen, aber ich werde es nicht tun. (mesto) Du allein störst mich in meiner Erinnerung. (tempo giusto) Übernimm du die Geschichten, aus denen die große Geschichte gemacht ist. Nimm sie alle von mir.
    Ich habe den Tisch abgeräumt, aber es bleibt noch mehr aufzuräumen. Es werden keine Briefe, Telegramme und Ansichtskarten mehr kommen. Ivan fährt zudem in der nächsten Zeit nicht weg aus Wien. Aber auch später und noch sehr viel später – es wird nichts mehr kommen. 1ch suche nach einem besonderen Platz in der Wohnung, nach einem Geheimfach, denn ich gehe mit einem kleinen Bündel in den Händen auf und ab. Es müßte ein Fach im Sekretär geben, das nachher nie mehr aufspringt, sich von niemand öffnen läßt. Oder ich könnte ein Stück Parkett mit einem Stemmeisen aus dem Boden lösen,die Briefe dort verstecken, das Parkett wieder schließen und versiegeln, solange ich noch mit an der Herrschaft bin. Malina liest in einem Buch, vermutlich: ›Es ist umsonst, Gleichgültigkeit in Ansehung solcher Nachforschungen erkünsteln zu wollen, deren Gegenstand der menschlichen Natur nicht gleichgültig sein kann.‹ Er sieht ab und zu ärgerlich auf, als wüßte er nicht, daß ich herumgehe mit einem Päckchen von Briefen und dafür ein Versteck suche.
    Ich knie auf dem Boden, es sind nicht Mekka und nicht Jerusalem, in deren Richtung ich mich verbeuge. Ich verbeuge mich vor

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