Mannerfreie Zone
den letzten Eindruck, den ich hinterlasse. Meine letzte E-Mail, um den Mitarbeiter ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Hallo Leute
,
das war’s also, heute ist mein letzter Tag. Ich bemühe mich, nicht zu sentimental zu werden. Und ihr solltet eure Tränen für die U-Bahn-Fahrten in der Sommerhitze aufheben. Das hier war mein erster Job nach der Schule, und ich habe von euch allen viel gelernt. Viel Glück, habt einen tollen Sommer. Ich werde mich melden, sobald ich eine neue E-Mail-Adresse habe. Passt auf euch auf
.
Eve
So. Kurz und nett. Ich lasse die Rechtschreibprüfung drüberlaufen und schicke sie los. Und dann kümmere ich mich wieder um das Nächstliegende. Jennifer klebt quasi an mir, und ich gebe ihr mein ganzes Excel-Wissen weiter. Wir tauschen die Plätze, damit sie am Computer sitzen und ich ihr Anweisungen geben kann. Da ruft Tabitha an.
„Ist es schlimm?“ fragt sie.
„Nein, mir geht’s gut.“
„Wie wäre es mit einer letzten Zigarettenpause?“ Ich werfe Jennifer einen Blick zu und sehe, wie sie auf ihrer Unterlippe kaut und konzentriert auf den Bildschirm starrt.
„Ich kann gerade nicht, Tabitha, ich helfe Jennifer. Aber ich rufe dich heute Abend an, wenn ich nach Hause komme.“
„Gehen wir was trinken?“
„Vielleicht später – zuerst brauche ich etwas Zeit, um mich wieder zu fangen.“
„Wie du meinst. Ruf mich an, wenn du’s hinter dir hast.“
Jennifer hat wieder alles durcheinandergebracht und wird vermutlich jeden Augenblick hyperventilieren. Über ihre Schulter hinweg lege ich die Hand auf die Maus und zeige ihr noch mal alles von vorne. Wir üben das ein paar Mal, und als ich meine Hand wegnehme, versucht sie es selbst. Dann lächelt sie mich an, sie hat sich wieder beruhigt. Ich lächle zurück. „Siehst du, Jennifer, das wird schon alles klappen.“
Dann ist es so weit, ich gehe. Ich schwöre, dass ich kein Drama mache, aber irgendwie bekomme ich im Fahrstuhl auf dem Weg nach unten Herzrasen. Meine Beine machen fast nicht mit, als ich durch die Tür gehen will. Ich bleibe kurz stehen und beobachte die Leute. Das ist es also? Das ist es, was ich wirklich will? Gehen? Für immer? Ich schaue mir die Gesichter der Vorbeigehenden an. Manche sind verärgert, dass sie mir ausweichen müssen, aber die meisten lächeln, froh darüber, dass das Wochenende vor ihnen liegt. Wird es mir denn gelingen, das Leben zu genießen, wenn mich kein langweiliger Job mehr die Zeit stiehlt? Gehört das nicht einfach dazu? Wird dadurch nicht alles andere nur umso schöner?
„Kann ich Ihnen helfen, Miss?“ Ein Sicherheitsbeamter starrt mich an.
„Nein, ich wollte nur einen Augenblick hier stehen.“
„Arbeiten Sie hier?“
Ich öffne den Mund und hole tief Luft. Er wartet auf meine Antwort. „Nicht mehr.“
Als ich das Gebäude verlasse, fühle ich mich frei und leicht. Es ist fast so wie der letzte Schultag, nur noch viel intensiver. Ich drehe mich um und werfe noch einen letzten Blick auf das Gebäude. Natürlich werde ich es noch öfter sehen, ganz bestimmt, aber dann wird es mir nicht mehr so viel bedeuten. Irgendwann wird es nur ein Symbol für alles sein, was ich mit „meinem ersten Job“ in Verbindung bringe. Ich mache mich auf den Weg nach Hause. Ich grinse sogar noch glücklicher als die anderen, weil ich nicht nur ein Wochenende vor mir habe, sondern mein ganzes Leben.
Zuhause angekommen stelle ich fest, dass Roseanne für uns Tunfisch gegrillt hat.
„Hey Eve, du musst unbedingt probieren und mir sagen, ob da noch Zitrone fehlt. Wie war dein letzter Tag?“
„Na ja, komisch. Jetzt ist es rum.“
„Nein, Eve“, sagt sie und füttert mich mit einem unglaublich leckeren Stück Tunfisch. „Jetzt geht’s erst richtig los.“
Epilog
U nd dann ist plötzlich Sommer, und wie in meinen besten Schulzeiten kann ich tun und lassen was ich will. Einmal die Woche besuche ich einen Kurs zum Thema Verlagswesen, ansonsten sitze ich meist in unserem stickigen Apartment vor meinem Computer. Tabitha hat eine Website erstellt, auf die schon einige Leute geklickt haben, die für unsere Zeitschrift entweder schreiben oder darin werben wollen.
Wir haben beschlossen, sie „Auf dem Sprung“ zu nennen. Es soll darum gehen, wie man sich „seine Jugendlichkeit und Kreativität auch nach der Schulzeit erhalten kann, ohne seine Zukunftsträume aufgeben zu müssen“. Wir wollen einen „New Yorker Tonfall anschlagen, aber trotzdem die Leute im ganzen Land ansprechen“. So haben
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