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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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wenn er offenkundig log. »Und wie sind wir dann so weit nach unten
gekommen?«, fragte er, und Walter sagte dann, Schuld hätten Anwälte und
Betrüger und Anwälte, die alle Betrüger sind und die den rechtmäßigen Besitzern
ihr Land stehlen. Verstehe das, wer kann, sagte Walter, denn ich kann es nicht
- und ich bin nicht dumm, Junge. Wie können sie es wagen, mich vor Gericht zu
zerren und mir eine Geldstrafe aufzubrummen, weil ich Tiere auf dem
sogenannten Gemeindeland grasen lasse? Wenn alle hätten, was ihnen zusteht,
wäre das mein Land.
    Wie sollte das angehen, wenn
das Land der Familie im Norden lag? Hatte aber keinen Zweck, das zu sagen - es
war der schnellste Weg, um von Walters Fäusten eine Lektion erteilt zu
bekommen. »Aber war denn kein Geld da?«, beharrte er. »Was ist damit
geschehen?«
    Nur einmal, als er nüchtern
war, hatte Walter etwas gesagt, das wie die Wahrheit klang und für seine
Verhältnisse geradezu eloquent war: Ich schätze mal, sagte er, ich schätze mal,
wir haben's durchgebracht. Ich schätze mal, wenn's weg ist, ist es weg. Ich
schätze mal, wenn der Reichtum einmal weg ist, kommt er nie wieder vorbei.
    Er hatte jahrelang darüber
nachgedacht. An jenem Tag, als er nach Putney zurückkehrte, hatte er gefragt:
»Wenn die Cromwells wirklich reich waren und wenn ich versuche herauszufinden,
ob noch etwas von dem Vermögen übrig ist, würde dich das zufriedenstellen?«
    Es sollte beschwichtigend
wirken, aber Walter war schwer zu beschwichtigen. »Ach ja, und dann soll ich
es vermutlich verteilen? An dich und den verdammten Morgan, deinen dicksten
Freund. Das ist mein Geld, von Rechts wegen.«
    »Es wäre das Geld der
Familie.« Was machen wir nur, dachte er, wir zanken sofort, streiten uns
innerhalb von fünf Minuten über diesen nicht existenten Reichtum? »Du hast
jetzt einen Enkel.« Er fügte hinzu, aber nicht laut: »Und du kommst mir nicht
in seine Nähe.«
    »Ach, das habe ich schon«,
sagte Walter. »Enkel. Wer ist sie, irgend so ein holländisches Mädchen?«
    Er erzählte ihm von Liz Wykys.
Gab damit zu, dass er lange genug in England gewesen war, um zu heiraten und
ein Kind zu bekommen. »Hast dir 'ne reiche Witwe geangelt«, kicherte Walter.
»Das war wohl wichtiger, als mich zu besuchen. Klar. Schätze mal, du hast gedacht,
ich bin tot. Anwalt, was? Du warst immer ein Schwätzer. Ein Klaps auf den Mund
hat da auch nichts geholfen.«
    »Du hast dich weiß Gott
bemüht.«
    »Schätze mal, du erzählst
niemandem, dass du mal in der Schmiede gearbeitet hat. Oder dass du deinem
Onkel John geholfen und in den Rübenabfällen geschlafen hast.«
    »Guter Gott, Vater«, hatte er
gesagt, »in Lambeth Palace haben sie doch keine Rüben gegessen. Kardinal Morton
und Rüben essen! Was glaubst du denn?«
    Als   er ein kleiner Junge und
sein Onkel John Koch für den großen Mann war, lief er immer wieder nach Lambeth
zum Palast, weil dort die Chance größer war, etwas zu essen zu bekommen. Dann
trödelte er am Eingang beim Fluss herum - Morton hatte sein großes Eingangstor
damals noch nicht gebaut - und sah zu, wie die Leute kamen und gingen,
erkundigte sich danach, wer sie waren, und erkannte sie das nächste Mal an der
Farbe ihrer Kleidung und an den Tieren und Gegenständen wieder, die auf ihre
Schilde gemalt waren. »Steh hier nicht rum«, brüllten die Leute ihn an, »mach
dich nützlich.«
    Andere Kinder machten sich in
der Küche nützlich, holten Dinge herbei, trugen Lasten, rupften mit ihren
kleinen Fingern Singvögel, entstielten Erdbeeren. Zum Abendessen formierten
sich die Bediensteten in den Fluren des Küchentrakts zu einer Reihe und
brachten die Tischtücher hinein und das Salzgefäß, das für die Mitte des
Tisches bestimmt war. Sein Onkel John maß das Brot ab, und wenn es nicht genau
richtig war, wurde es für den Rest des Haushalts in einen Korb geworfen. Das
Brot, das die Prüfung bestand, zählte er, wenn es hineingetragen wurde; er
stand neben seinem Onkel, tat so, als wäre er sein Stellvertreter, und lernte
auf diese Weise zu zählen. Alles wurde in die große Halle getragen:
verschiedene Fleisch- und Käsesorten, gezuckerte Früchte und gewürzte Waffeln,
das alles kam auf den Tisch des Erzbischofs - damals war er noch nicht
Kardinal. Wenn die Reste zurückkamen, wurden sie aufgeteilt. Die besten Reste
für das Küchenpersonal. Dann die Rationen für das Armenhaus, das Krankenhaus
und die Bettler am Tor. Was für sie nicht geeignet war, wurde nach

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