Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
Vom Netzwerk:
der ihn aufgezogen hat, Ehre: Er ist zäh,
spöttisch, von schneller Auffassungsgabe.
    Er und Rafe lesen ein Buch
über Schach. Das Buch wurde gedruckt, bevor er geboren wurde, aber es hat
Bilder. Sie betrachten sie nachdenklich und verbessern ihr Spiel. Stundenlang,
wie es scheint, macht keiner von ihnen einen Zug. »Ich war ja so dumm«, sagt
Rafe, wobei sein Zeigefinger auf dem Kopf eines Bauern ruht. »Ich hätte Sie
finden müssen. Als  man mir sagte, Sie wären nicht in Gray's Inn, hätte ich wissen
müssen, dass es nicht stimmt.«
    »Wie hättest du das wissen
können? Ich bin nicht zwangsläufig dort, wo ich eigentlich nicht sein sollte.
Bewegst du diesen Bauern oder tätschelst du ihn nur?«
    »J'adoube.« Rafe zieht schnell die Hand
weg.
    Lange Zeit sitzen sie da und
betrachten ihre Figuren, die Konfiguration, die sie auf der Stelle treten
lässt. Sie sehen es kommen: Patt. »Wir sind zu gut füreinander.«
    »Vielleicht sollten wir gegen
andere Leute spielen.«
    »Später. Wenn wir jeden
Herausforderer vernichten können.«
    Rafe sagt: »Ah, warten Sie!«
Er greift nach seinem Springer und zieht. Dann blickt er auf das Ergebnis,
entgeistert.
    »Rafe, du bist foutu.«
    »Nicht unbedingt.« Rafe reibt
sich die Stirn. »Sie könnten noch etwas Dummes tun.«
    »Genau. Gib die Hoffnung nicht
auf.«
    Gemurmel. Sonnenschein
draußen. Er hat das Gefühl, fast schlafen zu können, aber wenn er schläft,
kommt Liz Wykys zurück, fröhlich und tatkräftig, und wenn er aufwacht, muss er
ihre Abwesenheit noch einmal von vorn lernen.
    Aus einem entfernten Zimmer
hört man ein Kind weinen. Schritte über seinem Kopf. Das Weinen hört auf. Er
hebt seinen König in die Höhe und schaut auf die Unterseite, als wolle er sich
ansehen, wie er gemacht wurde. Er murmelt: »J'adoube.« Er stellt ihn dorthin zurück,
wo er war.
     
    Anne Cromwell sitzt bei ihm,
während es regnet, und schreibt ihr Anfängerlatein ins Schreibheft. Bis
Johannis kennt sie alle gängigen Verben. Sie ist schneller als ihr Bruder, und
er sagt ihr das. »Lass sehen«, sagt er und streckt die Hand nach ihrem Heft
aus. Er stellt fest, dass sie wieder und wieder ihren Namen geschrieben hat:
»Anne Cromwell, Anne Cromwell...«
    Aus Frankreich kommen
Nachrichten von den Triumphen des Kardinals, von Umzügen, öffentlichen Messen
und lateinischen Ansprachen ex tempore. Anscheinend hat er sogleich nach
seiner Ankunft an jedem Hochaltar in der Picardie gestanden und den Gläubigen
den Erlass ihrer Sünden gewährt. Das sind ein paar tausend Franzosen, die ganz
von vorn anfangen dürfen.
    Der König ist überwiegend in
Beaulieu, einem Haus in Essex, das er vor kurzem von Sir Thomas Boleyn gekauft
hat, der von ihm zum Viscount Rochford gemacht wurde. Den ganzen Tag jagt er,
lässt sich von dem feuchten Wetter nicht abschrecken. Am Abend hat er Gäste.
Der Herzog von Suffolk und der Herzog von Norfolk kommen zu privaten
Abendessen, an denen auch der neue Viscount teilnimmt. Der Herzog von Suffolk
ist sein alter Freund, und würde der König sagen: Strick mir ein Paar Flügel,
damit ich fliegen kann, würde er antworten: Welche Farbe? Der Herzog von
Norfolk ist natürlich das Oberhaupt der Familie Howard und Boleyns Schwager:
ein sehniger kleiner Schnupperer, der immer seinen eigenen Vorteil
erschnuppert.
    Er schreibt dem Kardinal
nicht, um ihm mitzuteilen, dass alle in England glauben, der König
beabsichtige, Anne Boleyn zu heiraten. Er hat nicht die Nachricht, die der
Kardinal will, also schreibt er überhaupt nicht. Er weist seine Angestellten
an, den Kardinal über seine rechtlichen Angelegenheiten, seine Finanzen auf dem
Laufenden zu halten. Schreibt ihm, dass es uns allen hier gut geht, sagt er.
Übermittelt ihm meine Grüße und versichert ihn meiner Ergebenheit. Schreibt
ihm, wie gerne wir ihn in Person sehen würden.
    Niemand sonst in ihrem
Haushalt wird krank. Dieses Jahr ist London einigermaßen davongekommen — oder
zumindest sagen das alle. Dankesgebete werden in den Kirchen der Stadt
gesprochen; oder sollte man sie vielleicht Gebete der Beschwichtigung nennen?
In den kleinen Versammlungen, die nachts stattfinden, werden Gottes Absichten
hinterfragt. London weiß, dass es sündigt. Wie die Bibel uns mitteilt:
»Schwerlich bleibt ein Kaufmann frei von Schuld.« Und anderswo wird festgestellt:
»Wer aber eilt, reich zu werden, wird nicht unschuldig bleiben.« Ein sicheres
Anzeichen der Verstörung, diese Angewohnheit zu zitieren. »Denn welchen

Weitere Kostenlose Bücher