Mantel, Hilary
ist.
Den Engländern wird nie vergeben werden, dass sie ihr Talent für die Zerstörung
immer dann gezeigt haben, wenn sie ihre Insel verließen. Englische Armeen
verwüsteten das Land, durch das sie marschierten. Quasi systematisch hielten
sie zwar penibel den ritterlichen Verhaltenskodex ein, brachen aber jedes
einzelne Gesetz des Krieges. Die Schlachten waren nichts; was sie zwischen den
Schlachten taten, hinterließ Spuren. Bei ihrem Marsch raubten und
vergewaltigten sie im Umkreis von vierzig Meilen. Sie verbrannten die Ernten
auf den Feldern und die Häuser mit den Menschen darin. Sie ließen sich in Form
von Münzen und Naturalien bestechen, und wenn sie ihr Lager in einem Gebiet
aufschlugen, ließen sie die Menschen dort für jeden Tag bezahlen, an dem sie
unbehelligt blieben. Sie töteten Priester und hängten sie nackt auf den
Marktplätzen auf. Als wären sie Ungläubige, plünderten sie Kirchen, steckten
Abendmahlskelche in ihr Marschgepäck, benutzten wertvolle Bücher als Brennstoff
für ihre Feuerstellen; sie verstreuten Reliquien und räumten Altäre leer. Sie
suchten die Familien der Toten auf und verlangten Lösegeld von den Lebenden;
wenn die Lebenden nicht zahlen konnten, setzten sie die Leichen vor ihren
Augen in Brand, beseitigten sie ohne Zeremonie, ohne Gebet, wie man es mit den
Kadavern kranker Rinder tun würde.
Angesichts dieser Tatsache
können die Könige einander vielleicht vergeben, nicht aber die Menschen. Er
sagt jedoch nichts davon zu Wolsey, auf den genügend schlechte Nachrichten
warten. Während seiner Abwesenheit hat der König einen eigenen Gesandten zu
geheimen Verhandlungen nach Rom geschickt. Der Kardinal hat es herausgefunden;
und natürlich hat es zu nichts geführt. »Aber wenn der König nicht gänzlich
offen zu mir ist, hilft das unserer Sache natürlich nicht im Geringsten.«
Ein solch doppeltes Spiel hat
er nie zuvor erlebt. Tatsächlich weiß der König, dass sein Fall rechtlich eine
schwache Grundlage hat. Er weiß es, aber er will es nicht wissen. Er hat sich
Mühe gegeben, seinen Verstand davon zu überzeugen, dass er nie verheiratet war
und deshalb frei ist und jetzt heiraten kann. Oder sagen wir: Sein Wille ist
überzeugt, nicht aber sein Gewissen. Er kennt das kanonische Recht, und wo er
Lücken hatte, hat er sich kundig gemacht. Als jüngerer Bruder wurde Henry für
die Kirche und ihre höchsten Ämter erzogen und ausgebildet. »Wenn sein Bruder
Arthur überlebt hätte«, sagt Wolsey, »wäre Seine Majestät Kardinal und nicht
ich. Nun, das ist mal ein Gedanke! Wissen Sie, Thomas, ich hatte nicht einen
freien Tag, seit... seit ich an Bord gegangen bin, glaube ich. Seit dem Tag,
als ich seekrank war, was in Dover begonnen hat.«
Einmal hatten sie das enge
Meer zusammen überquert. Der Kardinal hatte unten gelegen und Gott um Hilfe
angerufen, er aber war an die Reise gewöhnt gewesen und hatte seine Zeit an
Deck verbracht, wo er Zeichnungen von den Segeln und der Takelage und von
imaginären Schiffen mit imaginärer Takelage machte und den Kapitän davon zu
überzeugen versuchte - »ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen«, sagte er -, dass
es eine Möglichkeit gebe, schneller zu segeln. Der Kapitän dachte darüber nach
und sagte: »Wenn Sie ein eigenes Handelsschiff ausrüsten, können Sie es so
machen. Natürlich wird jedes christliche Schiff denken, dass Sie Piraten sind,
also erwarten Sie keine Hilfe, wenn Sie in Schwierigkeiten kommen. Seeleute«,
erklärte er, »mögen keine Neuerungen.«
»Die mag niemand«, hatte er
gesagt. »Soweit ich das beurteilen kann.«
Neue Dinge kann es in England
nicht geben. Es kann alte Dinge geben, die neu angeboten werden, oder neue
Dinge, die vorgeben, alt zu sein. Um Vertrauen zu erlangen, müssen neue Männer
sich einen alten Stammbaum verschaffen - so wie Walter - oder in den Dienst
alter Familien treten. Versuch nicht, alleine durchzukommen, oder man wird
denken, du bist ein Pirat.
In diesem Sommer, als der
Kardinal wieder auf trockenem Boden ist, erinnert er sich an jene Reise. Er
wartet darauf, dass der Feind längsseits kommt und dass sie beginnen, Mann
gegen Mann zu kämpfen.
Aber erst einmal geht er in
den Küchentrakt hinunter, um zu sehen, wie die Köche mit den Meisterwerken
vorankommen, die die französischen Gesandten beeindrucken sollen. Auf ihre
Nachbildung von St Pauls aus Fondant haben sie den Turm gesetzt, aber sie haben
Schwierigkeiten mit der Kugel und dem Kreuz auf der Spitze. Er sagt:
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