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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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vor den Mastbaum schlagen. Er wollte alles — nur nicht so hilflos zusehen, wie Karin ertrank.
    Sie war eine gute Schwimmerin, ja. Aber bei den Temperaturen? Im Rhein, mit seinen gefährlichen Strömungen und Strudeln? Im letzten Sommer hatten Polizei und Feuerwehr über zwanzig Menschen tot aus dem Fluss geborgen. Die meisten davon waren keine Selbstmörder, sondern Badende, die ihre Kräfte überschätzt hatten.
    Susanne brüllte ins Funkgerät. Bei Chris kamen davon nur Wortfetzen an. „Schiffsverkehr einstellen … vier Personen … Wasser … Boot …“
    Vier Personen. Und eine davon war die wunderbarste Frau der Welt.
    Vor ihm färbte sich der schwarze Himmel im Sekundentakt blau. Blau … schwarz … blau … schwarz. Als die „WSP6“ endlich um die Flussbiegung kam und die blau kreisenden Lichter sich im Wasser spiegelten, spürte er so etwas wie Erleichterung. Aber gleich darauf meinte er, die blauen Lampen kämen überhaupt nicht näher.
    „Wieso beeilen die sich nicht? Wieso fahren die nicht schneller?“ Er packte den Fahnenmast noch fester und rüttelte daran.
    „Die `WSP6´ macht vierzig Stundenkilometer“, antwortete Susanne betont ruhig und trat neben ihn an die Reling. „Aber je näher sie kommen, desto vorsichtiger müssen sie sein, sonst gefährden sie die Leute im Wasser. Das Rettungsschiff der Feuerwehr müsste auch gleich da sein. Die haben ein wendiges Beiboot, mit dem sie nah ran können.“
    Von der Uferstraße her wanden sich Streifenwagen und Rettungsfahrzeuge wie ein blauer Wurm auf sie zu. Quer zur „WSP6“ tauchte plötzlich ein weiteres, größeres Boot auf und ließ die Sirenen aufheulen. Scheinwerfer huschten über das Wasser.
    Vom Fluss her ertönte mit einem Mal ein heiserer Schrei. Chris umklammerte die Reling, bis ihm das Seil in die Finger schnitt. Susanne stand unbeweglich neben ihm. Wasser rann aus ihren Haaren, ein Tropfen hing an der Nasenspitze. Sie starrte zu den Schiffen hinüber und nur ein Zucken ihrer Wangenmuskeln ließ darauf schließen, was in ihrem Inneren vorging.
    Stichworte eines Gutachtens, das er einmal bei einem Prozess gelesen hatte, schossen Chris durch den Kopf. Wenn das Wasser unter sieben Grad kalt war, sank die Körpertemperatur eines Menschen nach spätestens einer halben Stunde auf unter zweiunddreißig Grad. Dämmerzustand, Kreislaufkollaps, Exitus. Weniger als sieben Grad hatte das Wasser allemal, aber wie lange waren die beiden jetzt schon da drin? Minuten? Stunden? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
    Die beiden Boote machten kaum noch Fahrt, dümpelten eher. Noch mehr Scheinwerfer überzogen das Wasser. Ein dunkler Teppich mit hellen Flecken.
    Plötzlich legte sich das Rettungsschiff quer, ein Motor heulte kurz auf. Susanne riss das Funkgerät ans Ohr und vergaß eine korrekte Meldung. „Was ist los, verdammt?“
    Sie erhielt keine Antwort.
    Quälende Minuten vergingen. Chris spürte seinen Puls hämmernd in den Schläfen. Wie im Schnelldurchlauf huschte das letzte halbe Jahr an ihm vorbei. Seine erste Begegnung mit der zunächst so abweisenden Karin, ihr erstes gemeinsames Essen in einer griechischen Taverne, das Kerzenlicht, das sich in den Kieselaugen gebrochen hatte. Jetzt brach sich kein Kerzenlicht, jetzt brachen die Kieselaugen.
    Er wandte sich ab. Das Gefühl, schreien zu müssen, wurde fast übermächtig. „Lass es gut gehen“, murmelte er, zu wem auch immer. „Lass es, verdammt noch mal, gut gehen!“
    Als Susannes Funkgerät knackte, zuckte er zusammen. „WSP 6 für Arnold 5048.“
    „Was?“, brüllte Susanne in den Apparat. Dann besann sie sich. Disziplin im Funkverkehr war eines der obersten Gebote im Polizeidienst. Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen normalen Klang zu geben, als sie sagte: „Arnold 5048 hört.“
    „Zwei Frauen und ein Kind geborgen. Werden von den Kollegen an Land gebracht.“
    „Ein Mann! Da muss noch ein Mann im Wasser sein!“
    „Tut mir Leid. Keine Spur bisher. Aber wir suchen weiter.“
    Wie erstarrt blieb Chris an der Reling stehen. „Geborgen“ — was bedeutete das? Tot? Lebendig? Verletzt? Und was war mit Hellwein?
    Er legte eine Hand auf Susannes Schulter, während das Feuerwehrboot sich in schneller Fahrt der ersten Buhne vor dem Yachthafen näherte, wo die Rettungswagen Position bezogen hatten.
    Als das Schiff anlegte, schüttelte sie seine Hand ab und lief mit langen Schritten den Steg entlang.
    An Bord ging es zu wie in einem Bienenstock. Ein Chaos aus Sanitätern,

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