Mantramänner
Jede Menge Videofiles mit Übungen und ein richtig guter Shop. Wenn du da oben klickst, bei dem Yin- und Yang-Symbol, gibt es zum Beispiel Meditationsmusik zum Download.«
»Aha«, antwortete ich matt. So hatte sich Nadine zuletzt vor zwei, drei Jahren über eine Website mit stilvollem Sexspielzeug für Frauen gefreut. Voller Begeisterung hatte sie den Link an alle ihre Freundinnen geschickt, leider ohne weiteren Kommentar. Ich werde nie vergessen, wie ich nichts ahnend morgens um zehn im Büro die Seite öffnete und sich eine Kollektion von aquamarinblauen Delfinen in eindeutiger Form vor mir aufbaute. Blöderweise stand da gerade mein Chef hinter mir.
Berger hatte sich nicht darüber aufgeregt. Viel schlimmer. Seitdem zwinkerte er mir manchmal so wissend zu.
»Ach, fast hätte ich es vergessen«, Nadine wandte sich jetzt wieder Anna zu, »nächstes Wochenende ist noch ein Platz frei geworden bei diesem Wochenendseminar mit ayurvedischer Darmreinigung. Du weißt schon, in diesem Yogizentrum in der Heide. Falls du Lust hast …«
»Großartig! Die sind doch sonst über Monate ausgebucht!«
Wieder dieses beseelte Lächeln bei Anna. Ich verstand überhaupt nichts mehr.
»Ich bin morgen beim Early-Morning-Mantrasingen«, sagte Nadine, »dann kann ich dich gleich mit anmelden.«
»Muss ich irgendwas Spezielles mitnehmen?«
»Du kannst dein eigenes Meditationskissen einpacken, wenn du willst. Und natürlich einen Zungenschaber.«
Anna kramte in ihrer Handtasche, beförderte ihr topmodernes Alleskönner-Handy heraus und wischte wichtig darauf herum. Dann riss sie die Augen auf wie ein Rehkitz, das vom Lichtkegel eines Geländewagens geblendet auf einer Landstraße steht. »O nein! Da kann ich ja gar nicht!«, jammerte sie. »Am Samstag ist schon dieses Get-together vom Network junger Business-Frauen.«
Alle nickten so verständnisinnig, als hätte sie soeben gestanden, dass sie gleichzeitig von Brad Pitt und Johnny Depp um ein Date gebeten worden war. Oder meinetwegen von einem romantischen Vampir und einem sexy Werwolf.
Ich versuchte, Mellis Blick einzufangen, aber die schielte unverwandt an mir vorbei. Erst jetzt bemerkte ich, dass auch sie eine Teetasse mit sich spazieren trug. An ihrem eigenen Geburtstag.
Es gibt diese Momente, in denen sich die Dinge wie Puzzleteile zu einem Bild zusammenfügen. So wie neulich, als in der Kantine plötzlich vier Kolleginnen mit kurzärmligen Karoblüschen über langärmligen Shirts hintereinander in der Schlange standen und ich wusste: Das ist kein zufälliger Griff in den Kleiderschrank, das ist eine Mode. Genau so war das bei Mellis seltsamer Geburtstagsparty auch.
Sicher, meine Freundinnen hatten auch früher schon mal den yogischen Sonnengruß erwähnt. Oder Poster aufgehängt, auf denen verschiedene Fingerstellungen abgebildet waren. Für den Energie-Kick made in Fernost. Trotzdem waren sie doch immer noch ziemlich normal gewesen. Ganz normale Frauen mit ziemlich normalen Jobs und einem ziemlich normalen Geschmack, die auch ohne die Segnungen der fernöstlichen Kultur gut klarkamen. Wenn man mal absah von Sushi und Sudokus.
Zuallererst war da natürlich Melli, meine beste Freundin, solange ich denken konnte. Melli, die sich als einziger Mensch auf der Welt die Namen von sämtlichen Männern gemerkt hatte, die irgendwann
meinen Ruhepuls auf mehr als fünfundsechzig Schläge gebracht hatten. Melli, mit der ich in der dritten Klasse Trinktütchen und in der achten Klasse Taschenrechner geteilt hatte. Und die mir schon vorsorglich einen Platz in der Dinosauriergruppe der »Kita Schmuddelkinder« gesichert hatte, in der sie als Erzieherin arbeitete. Nur für den Fall, dass ich eines Tages jemanden kennenlernen würde, mit dem ich Nachwuchs in die Welt setzen konnte. Wahrscheinlich hatte mein ungeborenes, ungezeugtes und ungeplantes Kind sogar schon einen eigenen Garderobenhaken.
So war Melli.
Nadine war in unserer Teenagerzeit zu uns gestoßen, und sie war immer die Wildeste von allen gewesen. Mit siebzehn war sie von zu Hause aus- und bei einem Jungen eingezogen, der behauptete, er sei Musiker. Obwohl ihn nie jemand mit irgendeinem Instrument gesehen hat, außer einer Wasserpfeife. Nadine nannte alle Frauen Sweetie und alle Männer Honey. Angeblich sogar den Referendar, der bei ihrer mündlichen Abiprüfung assistiert hatte. Nadine war das lebende Beispiel für Sex und Rock ’n’ Roll, und was die Drugs betraf, hätte ich meine Hand auch nicht für sie ins Feuer
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