Die Brueder des Kreuzes
Anmerkung des Autors
W
O LIEGT EIGENTLICH FRANKREICH? Wenn Ihnen jemand aus heiterem Himmel diese Frage stellt, fragen Sie sich bestimmt, wie er so dumm sein kann, denn Sie wissen natürlich genau, wo Frankreich liegt. Schließlich haben Sie es schon tausendmal auf der Landkarte gesehen, und es muss doch schon ewig an derselben Stelle sein, mindestens seit dem Ende der letzten Eiszeit. Es sollte also wirklich niemand danach fragen müssen.
Und doch habe ich als Autor historischer Romane Probleme mit dieser Frage, seit ich mich damit beschäftige – weil ich es wichtig finde, dass sich meine Geschichten vor einem historisch akkuraten Hintergrund abspielen.
In meinen Artus-Romanen war ich beispielsweise gezwungen zu akzeptieren – und damit auch zu zeigen –, dass der Frankenritter Lancelot du Lac im Europa des fünften Jahrhunderts kein Franzose gewesen sein kann und sein Name auch unmöglich Lancelot du Lac gewesen sein kann. Denn in jenen Tagen nannte sich das Land noch Gallien und die französische Sprache, die Sprache der Franken, war die primitive Zunge wandernder Völkerstämme, nach denen man die von ihnen eroberten Territorien erst sehr viel später benennen sollte.
Beim Verfassen dieses Buches hatte ich ein ähnliches Problem. Zwar gab es im zwölften Jahrhundert schon ein Land namens Frankreich, doch es hatte wenig Ähnlichkeit mit dem Land, das wir heute kennen.
Die Capets waren das Königshaus von Frankreich, und zur Zeit meiner Geschichte war Philip Augustus König von Frankreich. Philips Königreich umfasste die Gegend um Paris und einen schmalen Streifen Land, der sich bis zum englischen Kanal erstreckte. Die Entwicklung zu dem Staat, der es im Lauf der folgenden hundertfünfzig Jahre werden sollte, hatte gerade begonnen, doch zu Beginn des zwölften Jahrhunderts war es ein winziges Fleckchen Erde, das auf allen Seiten von mächtigen Herzogtümern und Grafschaften umringt war – Burgund, Anjou, die Normandie, Poitou, Aquitanien, Flandern, die Bretagne, die Gascogne und ganz im Norden eine Provinz namens Vexin. Die Bewohner all dieser Territorien sprachen eine gemeinsame Sprache, die man später Französisch nennen sollte, doch nur die Bewohner des eigentlichen Königreichs Frankreich nannten sich Franzosen. Die anderen waren stolz darauf, Burgunder, Normannen oder Bretonen zu sein.
Richard Plantagenet, der Herzog von Aquitanien und Anjou, war in vielerlei Hinsicht reicher und mächtiger als der französische König. Nach dem Tod seines Vaters, König Heinrichs des Zweiten, wurde Richard König von England, der legendäre Richard Löwenherz, und er regierte über ein Reich, das weitaus größer war als das Land, das von Philip von Frankreich regiert wurde.
Für uns sind sie alle Franzosen, doch zu ihrer Zeit war das nicht so, und um dem modernen Leser das verständlich zu machen, muss ich mir immer wieder jene Frage stellen, mit der ich vorhin begonnen habe: Wo liegt eigentlich Frankreich?
Zu der Zeit, in der diese Geschichte spielt, in den Tagen Richard Plantagenets und des Dritten Kreuzzuges, des Krieges gegen die Sarazenen unter ihrem Sultan Saladin, befanden sich die Tempelritter noch nicht auf jenem Gipfel der Macht, des Reichtums und der vermuteten Korruption, die ihre Zeitgenossen später so gegen sie aufbringen sollte. Doch sie hatten es schon weit gebracht, seit sie achtzig Jahre zuvor von neun mittellosen Rittern gegründet worden waren, die in den Tunneln unter dem Jerusalemer Tempelberg nach Schätzen gruben. In den acht Jahrzehnten seit ihrer Gründung waren sie das stehende Heer der Christenheit in Outremer geworden, das sich eines tadellosen Rufs erfreute und der katholischen Kirche fraglose Loyalität entgegenbrachte. Der junge Orden war rasend schnell berühmt geworden und hatte es nicht zuletzt dank der Unterstützung durch Bernard von Clairvaux zu unschätzbarem Reichtum an Gold und Ländereien gebracht.
Doch der Orden war auch von Anfang an ein geheimnisvoller Bund gewesen, der seine Riten und Zeremonien unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollführte. So legitim die Wurzeln dieser Zurückgezogenheit auch sein mochten, letztlich war sie es, die jene Arroganz nach sich zog, die schließlich den Rest der Welt gegen den Orden aufbringen und seinen Untergang besiegeln sollte.
Ich vermute, dass es Ihnen – sollten sie durch die Lektüre dieses Buches inspiriert danach suchen – nicht leichtfallen dürfte, in Ihrer Bekanntschaft jemanden zu finden, der Ihnen spontan
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