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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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erteilte. Mary erfuhr das alles erst viel später. Zu der damaligen Zeit war es für sie ganz selbstverständlich, daß ihre Mutter ging wie sie zur Schule, und sie war höchst überrascht, als sie zum ersten Male entdeckte, daß nicht alle Mütter morgens das Haus verließen und erst abends wieder zurückkehrten. Mrs. Shannons Ferien stimmten mit Marys Schulferien zeitlich ungefähr überein, und sie verbrachten sie gemeinsam mit fast allen übrigen Mitgliedern der Familie Shannon in Charbury House.
    Und da standen sie nun — Mutter und Tochter — am Donnerstag vor Ostern auf der Paddington-Station, schlängelten sich durch die aufreizend langsam dahinwogende Menschenmenge, und es blieb ihnen nur noch drei Minuten Zeit, um den 10.30-Zug nach Taunton zu erwischen. Auf den ersten Blick sahen sie fast gleich aus, denn sie waren beide klein, dunkelhaarig und blaß, aber eigentlich ähnelten sie sich überhaupt nicht. Mary war mit ihren elf Jahren ein auffallend kleines Ding, und ihr Gesichtchen war ohne jeden Anflug von Farbe, so daß freundliche Mitmenschen sich zu der Feststellung veranlaßt sahen, sie sei doch wohl sehr zart. Wenn sie lachte, sah sie wie ein Gnom aus mit ihrem spitzen Kinn und den kleinen spitzen Ohren, die das Haar frei ließen. Es war hinter den Ohren zurückgenommen und mit einer Schleife im Nacken zusammengehalten, bevor es ordentlich und adrett über den halben Rücken hinabfiel. Marys Haar hatte einen kastanienfarbenen Schimmer, während das ihrer Mutter fast blauschwarz war, und Mrs. Shannons Augen, viel dunkler als Marys, sahen aus wie kleine runde, energiegeladene Knöpfe. Sie hatte einen zu kleinen Kopf, und auch ihr Gesicht war unverhältnismäßig klein, kaum größer als Marys Kindergesicht. Aber ihr Kinn war viereckig und ihre Unterlippe dementsprechend gerade, Marys Kinn hingegen war spitz, und ihr großer Mund paßte nicht zu den übrigen Konturen ihres Gesichts. «Du mußt noch sehr wachsen, wenn dein Maul mal zu dir passen soll», sagte Großpapa immer.
    Sie drängelten sich auf den Bahnsteig und rannten am Zug entlang, wo die Träger bereits die Türen zuschlugen und die Reisenden den Kopf aus dem Fenster steckten, um noch einmal zu sagen.
    «Hier, hier», sagte Mary immer wieder und zog an ihrer Mutter, während sie an lauter halbleeren Dritter-Klasse-Abteilen vorbeiliefen; sie hatte Angst, daß der Zug jeden Augenblick abfahren könnte. Sie sah den Zugführer am Gepäckwagen stehen, die Trillerpfeife schon am Mund. Mrs. Shannon war — wie immer — überzeugt, daß sie weiter vorn einen viel besseren Platz finden würde; nahm sie an einem Picknick teil, so sah sie stets das nur ein paar Schritte von der Stelle entfernt, wo sich alle anderen gerade niedergelassen hatten. Endlich stießen sie zu Marys Erleichterung auf den Zugführer, der ihnen zurief: «Wenn Sie noch mitwollen, meine Dame, steigen Sie schleunigst ein.» Dann hob er den Arm, um das Zeichen zur Abfahrt zu geben, so daß sie sich in das nächste Abteil zwängen mußten, das mit lauter wütend dreinblickenden Leuten voll besetzt war. Da es kein Zug war, in dem die Abteile durch einen Gang miteinander verbunden waren, waren sie gezwungen dortzubleiben, die anderen Leute mußten zusammenrücken, um ihnen Platz zu machen.
    Mit dem Hinweis, daß Mary womöglich schlecht würde, wenn sie nicht am Fenster säße, eroberte ihr Mrs. Shannon einen Fensterplatz, und während sie sich selbst auf die gegenüberliegende Bank in die Mitte zwängte, blinzelte sie Mary triumphierend zu. Mary lächelte etwas reserviert zurück. Obwohl es ihr schrecklich gewesen wäre, wenn sie nicht aus dem Fenster hätte sehen können, so billigte sie doch keineswegs die Methoden ihrer Mutter, andere so lange zu belästigen, bis sie erreicht hatte, was sie wollte. Mary, die von Natur schüchtern war, bezog alles stets auf sich. Nicht was die Leute von ihrer Mutter dachten, beschäftigte sie, sondern nur, was man von ihr selbst im Zusammenhang mit ihrer Mutter wohl denken würde.
    Im Abteil waren noch fünf Mitreisende. Drei langweilige Frauen, die offenbar nichts miteinander zu tun hatten; ein jüngerer, häßlicher Mann, der — wie es schien — zu einer der Frauen gehörte, denn wenn sie mit ihm sprach, knurrte er nur, und — Mary gegenüber in der Ecke — ein rundlicher, alter Herr, der mit seinem zersausten, weißen Schnurrbart aussah, als ob er sich für seine Enkelkinder als

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