Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
um das Ährenraufen geht. Mehrere Male verglichen sie diese Stelle (die sie auf dem kleineren Pergament gefunden hätten, wie sie sagten) mit irgendwelchen Übersetzungen aus dem Griechischen und Hebräischen. Sie stritten heftig, legten den Text in diese, dann in eine andere Richtung aus, um letztere sogleich wieder zu verwerfen. Ihr Mund war voller Bohnen, sie kauten, gestikulierten, schluckten und redeten zugleich. Später war von einer Genealogie der Grafen von Rhedae die Rede, Nachkommen der merowingischen Könige; von Blanca von Kastilien und einem gewissen D`Aniort – einem Herrn von Rennes, der Übergabebedingungen ausgehandelt hätte, welche genau, das müsse man noch herausfinden.
Bei all dem Gerede konnten sie von meinem guten Cassoulet gar nichts schmecken.
Und ich wiederum - ich verstand nichts, gar nichts von alledem. Ich sollte aber auch gar nichts verstehen. Die beiden machten sich nicht die geringste Mühe, mir etwas zu erklären. Ich fühlte mich überflüssig. Mädchen, sagte ich zu mir, es wird höchste Zeit, dass du auf den Boden der Tatsachen zurückkehrst. Du bist und bleibst die törichte Magd.
Stolz und trotzig zugleich, achtete ich dennoch auf jedes Wort. Nachdem sie längere Zeit über die Hochzeit zu Kana diskutiert hatten (die in Auszügen das große Manuskript beinhalten würde), rief Boudet plötzlich aus: „Heureka! Ich glaube, ich hab`s! Die Zahl der Buchstaben stimmt überein – acht: Rex mundi. ´Herr der Welt` oder ´König der Welt`.“
Saunière sah überrascht auf. „Das kommt mir bekannt vor ...“
„Natürlich!“ triumphierte Boudet und schlug sich gegen die Stirn. „Mir ist es gerade wie Schuppen von den Augen gefallen, was wiederum beweist, dass ein hungriger Magen einen am Studieren hindert. Bérenger, denk an das Mittelalter und die Ketzerverfolgung hierzulande!“
Saunière hielt im Kauen inne. Er zog die Brauen zusammen, starrte seinen Kollegen an - und plötzlich fingen auch seine Augen an zu leuchten. „Du meinst die Katharer oder Albigenser? Kann das sein? Aber ja“, rief er, erleichtert lachend, „beim Heiligen Antonius, du hast recht! Die Dualisten! Warum sind wir nicht früher darauf gekommen? Aber was ist der Grund für die Verschlüsselung?“
Boudet zuckte die Schultern und schöpfte sich eine weitere Portion aus dem Topf. „Ich habe noch eine andere Idee ...“, murmelte er. „Diese Geschichte ... nun ja, später vielleicht ...“
Jetzt, wo sie ein Stück weitergekommen zu sein schienen, schlangen die Priester das Essen geradezu in sich hinein. Dann schnappten sie sich einen weiteren Krug Wein, ein wenig von dem harten Pyrenäenkäse, der in Holzasche gewälzt wird, und eine Schale mit verschrumpelten Mostäpfeln vom Vorjahr und zogen sich wieder in das Studierzimmer zurück.
Mittelalter? Ketzerverfolgung? Blanca von Kastilien?
Kopfschüttelnd spülte ich die leergeputzten Teller der Herrschaften.
Später kam der Ramoneur, der mich, nachdem er den Kamin gekehrt hatte - wie immer gegen einen Becher Roten –, mit einigen Schnurren aus seinem Leben unterhielt. Er brachte mich wieder zum Lachen, erzählte mir aber auch, dass seine Schwester in Lyon als gelernte Arbeiterin nur halb so viel verdiente wie ein ungelernter Arbeiter.
Welch eine Ungerechtigkeit auch hier.
8
„Kennst du Daphne, die altertümliche Romanze
am Fuß der Sykomore ...?"
Gérard de Nerval , Delfica
Als Bérenger am späten Nachmittag Boudet, der genauso übermüdet wirkte wie er selbst, endlich hinausbegleitet, die Tür hinter seinem Kollegen geschlossen, sich gedehnt und gereckt hatte, blickte er sich ein wenig entgeistert in der Küche um, den Kopf wohl noch immer voll von dem, was sie beide ununterbrochen, seit fast vierundzwanzig Stunden, besprochen hatten.
Dann schien er auf einmal mich wahrzunehmen. Ich war gerade dabei, einen Kuchenteig zu rühren, und fühlte, wie Bérenger schweigend jeden meiner Handgriffe beobachtete, als hätte er noch nie eine Frau gesehen, die Kuchenteig rührt. Längst war der Teig fertig, aber ich scheute mich aufzuschauen, also rührte und rührte ich weiter, es würde der lockerste Kuchen meines Lebens werden.
„Marinette, meine Kleine“, sagte er unvermittelt. Seine Stimme klang überaus ernst. Ich wagte noch immer nicht, ihn anzusehen. „Leg endlich den Löffel beiseite. So kann ich nicht mit dir reden.“
Ich nickte und legte folgsam den Löffel ab.
Bérenger räusperte sich. Als ich ihn nun ansah, bemerkte ich, dass
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