Die Aspern-Schriften (German Edition)
I
Ich hatte Mrs. Prest ins Vertrauen gezogen; ohne sie wäre ich wohl kaum einen Schritt vorangekommen, denn die wahrhaft erfolgversprechende Idee in der ganzen Angelegenheit stammte aus ihrem wohlwollenden Munde. Sie war es, die den zündenden Einfall hatte und den gordischen Knoten löste. Es soll ja für Frauen nicht gerade leicht sein, sich eine großzügige und freie Sicht der Dinge anzueignen, zumal solcher Dinge, die unbedingt erledigt werden müssen. Doch manchmal schütteln sie einen kühnen Plan – zu dem ein Mann sich niemals aufgeschwungen hätte – mit unvergleichlicher Gelassenheit aus dem Ärmel. »Bringen Sie sie ganz einfach dazu, Sie als Untermieter bei sich aufzunehmen« – ich glaube nicht, dass ich ohne ihre Hilfe auf solch eine Idee gekommen wäre. Ich schlich vielmehr wie die Katze um den heißen Brei, wollte besonders findig sein und zerbrach mir darüber den Kopf, mit welchen Winkelzügen ich ihre Bekanntschaft machen könnte, und da kam sie mit diesem trefflichen Vorschlag, dass der erste Schritt, mit ihnen Bekanntschaft zu schließen, sein müsste, zu nächst ihr Mitbewohner zu werden. Was sie über die Damen Bordereau wusste, ging kaum über meinen Kenntnisstand hinaus, vielmehr hatte ich aus England ein paar eindeutige Fakten mitgebracht, die ihr neu waren. Jahrzehnte zuvor habe man den Namen der Damen mit einem der berühmtesten Namen des Jahrhunderts in Verbindung gebracht, und heute lebten sie zurückgezogen in Venedig, lebten von äußerst bescheidenen Mitteln, ohne je Besuch zu empfangen, und unnahbar in einem abgelegenen und halb verfallenen alten Palazzo: So lässt sich der Eindruck meiner Freundin von den Damen zusammenfassen. Sie selbst hatte sich vor anderthalb Jahrzehnten in Venedig niedergelassen und dort eine Menge Gutes getan; doch in den Kreis ihrer Wohltaten waren die beiden scheuen, rätselhaften und, wie man grundlos vermutete, kaum gesellschaftsfähigen Amerikanerinnen – von denen man annahm, sie hätten im Laufe ihres langen Exils alle nationalen Eigenarten eingebüßt, zumal sie, wie ihr Name erkennen ließ, auf eine eher weitläufige französische Abstammung zurückblickten – niemals aufgenommen worden, und ihrerseits hatten sie niemals um einen Gefallen gebeten und wünschten keine Aufmerksamkeit. In den ersten Jahren ihres Aufenthalts in Venedig hatte sie einen Versuch unternommen, mit den beiden Kontakt aufzunehmen, doch dies war ihr nur mit der Kleinen gelungen, wie meine Freundin die Nichte nannte; allerdings stellte ich etwas später fest, dass sie in Zentimetern die größere war. Mrs. Prest hatte erfahren, dass Miss Bordereau krank war, und da sie annahm, sie wäre bedürftig, war sie zu dem Haus gegangen, um ihre Hilfe anzubieten, damit sie sich keine Vorwürfe zu machen hätte, falls dort Leid herrschte, insbesondere amerikanisches Leid. Die »Kleine« hatte sie in der großen, aber kalten venezianischen sala mit ihrem verblichenen Glanz empfangen, in dem mit Marmorfußboden und einer düsteren Balkendecke ausgestatteten Empfangssaal des Hauses, und sie hatte ihr nicht einmal einen Platz angeboten. Das hörte sich für mich nicht sehr ermutigend an, der ich mich doch so schnell wie möglich niederlassen wollte, und in diesem Sinne äußerte ich mich gegenüber Mrs. Prest. Scharfsinnig gab sie mir zur Antwort: »Aber nein, da ist doch ein großer Unterschied: Ich ging dorthin, um einen Gefallen zu erweisen, und Sie wollen um einen bitten. Wenn die beiden stolz sind, dann sind Sie in der richtigen Position.« Dann bot sie mir an, mir zunächst einmal das Haus der Damen zu zeigen – mich in ihrer Gondel dorthin zu begleiten. Ich verriet ihr, dass ich es mir bereits ein halbes Dutzend mal angeschaut hätte; dennoch nahm ich ihr Angebot an, denn es schien mir verlockend, mich in der Nähe des Ortes aufzuhalten. Schon am Tag nach meiner Ankunft in Venedig war ich dorthin gefahren – jener Freund in England, dem ich zuverlässige Informationen darüber verdankte, dass die Papiere sich im Besitz der Damen befänden, hatte mir den Weg im Voraus beschrieben – und hatte das Gebäude mit Blicken belagert, während ich meinen Schlachtplan durchdachte. Jeffrey Aspern war, soweit ich wusste, niemals in dem Haus gewesen, doch ein ferner Nachhall seiner Stimme schien sich dort noch in der Luft zu halten wie eine allumfassende Vermutung, die im »sterbenden Fall« erlischt.
Mrs. Prest wusste nichts von den Papieren, interessierte sich aber für den Grund meiner
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