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Mark Brandis - Testakte Kolibri

Mark Brandis - Testakte Kolibri

Titel: Mark Brandis - Testakte Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Brandis
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manchmal bei ihm aus. Dann weiß er nicht mehr so recht, wer er ist, dann will er der ganzen Menschheit an die Gurgel. Man muß das nicht so tragisch nehmen. Morgen ist er wieder ganz in Ordnung.« Er verzog das Gesicht. »Ich glaube, ich sollte jetzt doch mal in den Waschraum gehen.«
    Jordan ließ mich mit Romen allein. Romen reichte mir ein Glas.
    »Trinken Sie, Brandis! Orangensaft – nichts, was gegen die Vorschrift wäre.«
    Wie hatte Vidal doch noch vor ein paar Wochen gesagt ? Eine einzige große Klapsmühle. Da hat ein jeder seinen Tick. Stafford also auch. Ihm war nicht einmal ein Vorwurf zu machen. Alles hatte seine Grenzen – das galt auch für die moderne Ersatzteilchirurgie. Physische und psychische Veränderungen waren oft genug der Preis für ein neugeschenktes Leben.
    Ich stürzte den Orangensaft hinunter und stellte das Glas fort.
    »Romen, stimmt diese Geschichte?«
    Romen nickte. »Sie stimmt. Er kann nichts dafür. Ich trage ihm nichts nach.«
    »Immerhin«, gab ich zu bedenken, »wollte er Ihnen an den Kragen.«
    »Morgen weiß er nichts mehr davon«, antwortete Romen gleichmütig. »Vergessen wir‘s also. Haben wir ein Recht, mit dem Finger auf ihn zu zeigen, nur weil wir zufällig noch in der eigenen Haut stecken? Jordan ist ja auch so ein armer Hund.«
    »Jordan – wegen seiner Gehirnprothese?«
    Romens Aufmerksamkeit schien den Musikern zu gelten. Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor er meine Worte aufgriff.
    »Ist es Ihnen denn nicht aufgefallen? Er ist verwundet, aber er empfindet keinen Schmerz. Seine Freunde kommen ums Leben, aber er vergießt keine Träne. Er lebt, denkt, arbeitet, ist ein hervorragender Pilot – nur daß er eben keine Gefühle mehr hat.«
    Romen hatte mich auf eine Nachlässigkeit hingewiesen. Ich hatte mir nichts dabei gedacht, als Jordan die Nachricht von Vargas‘ Katastrophe mit völligem Gleichmut aufgenommen hatte. Allenfalls hielt ich ihn für abgebrüht und gefühlsroh. Nun erfuhr ich, daß er nichts dafür konnte.
    Was für eine Welt war das, in der ich mich jetzt befand? Spinner, Neurotiker, seelische Krüppel – nach medizinischem Maß gleichwohl vollwertige Menschen. Eine vorübergehende Schattenseite unserer Zivilisation – oder war dies bereits die Welt von morgen? In sich gespalten, ohne Schmerz, aber auch ohne Tränen? Der Mensch als Erzeugnis der Chirurgen – aus tausend Teilen zusammengeflickt?
    Ich wandte mich noch einmal an Romen.
    »Was würden Sie mir in dieser Angelegenheit vorschlagen?«
    Romen machte eine wegwerfende Bewegung. »Schwamm drüber, Sir!«
    Ich fühlte mich nicht stark genug, um ihm zu widersprechen. Auf Espiritu Santu galten eigene Gesetze – ältere Gesetze als jene, die ich aufzustellen vermochte. Wenn ich Stafford nach Hause schickte, mußte ich konsequenterweise das ganze Team auflösen.
    Jordan kehrte zurück. Romen und ich standen auf. Sie fuhren mit einem der offenen Transporter, ich nahm meinen geschlossenen Wagen.
    Wieder in meinem Ouartier, griff ich zum Telefon und klingelte Osburg aus dem Schlaf.
    »Brandis. Die Disposition für Montag. Kein Flugbetrieb – mit einer Ausnahme. Ich starte um acht mit der Nummer Sieben .«

Kapitel 10
    Die Tage schleppten sich dahin und fügten sich zu Wochen. Wieder einmal lief alles prächtig. Mit den Kolibris gab es nicht die geringsten Schwierigkeiten.
    Der Flug mit der Nummer Sieben hatte mir keine neuen Erfahrungen gebracht. In rascher Folge probierte ich auch noch die Nummern Drei und Elf durch. Auch diese Starts verliefen völlig planmäßig. So löste ich schließlich das Vargas gegebene Versprechen ein. Der Flugbetrieb wurde in vollem Umfang wiederaufgenommen.
    Ein Start jagte den anderen. Zwei, ja sogar drei Kolibris waren an manchen Tagen gleichzeitig unterwegs. Osburg stöhnte, weil seine Ingenieure und Mechaniker kaum noch eine freie Stunde hatten; auch VEGA-Luna beschwerte sich über das Tempo. Vom Verlangen beseelt, das Projekt zu einem Abschluß zu bringen, ließ ich mich auf nichts ein.
    Meine Männer zu belauern hatte ich aufgehört. Es war mir klargeworden, daß ich sie nehmen mußte, wie sie waren – mit ihren Vorzügen und ihren Unzulänglichkeiten und Schwächen.
    Stafford konnte sich in der Tat an nichts erinnern. Er war ruhig und ausgeglichen und schimpfte wie eh und je auf das Kolibri -Projekt, ohne im Ernst daran zu denken, sich versetzen zu lassen. Ich setzte mich mit seinem Chirurgen in Verbindung. Die Auskunft war mager. Stafford bestand

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