Mark Brandis - Testakte Kolibri
Stafford mit der Nummer Drei waren schon am Dienstag aufgestiegen und noch nicht zurück. Grischa Romens Nummer Sieben befand sich auf der Werft zur Inspektion, und Boleslaw Burowski, der die Nummer Eins zu fliegen pflegte, war für einen Nachtstart vorgesehen. Pieter Jordan faulenzte noch einen letzten Tag in seinem Quartier – und ich übernahm seine Nummer Elf .
Im Kasino trank ich noch rasch eine Tasse Kaffee, dann ließ ich mich zum Start fahren.
Der Tag begann mit paradiesischer Frische: klar die Luft, wolkenlos der weite Himmel, tiefblau und unbeweglich – ein gläserner Spiegel – das Meer.
Die Mechaniker hatten ihre Arbeit bereits getan. Osburg meldete mir den Kolibri klar zum Start, und ich ging an Bord.
Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit lag vor mir ein neuer ereignisloser Flug. Nicht einmal das sonst übliche Gefühl der Beklemmung wollte sich einstellen. Alles auf der Welt unterlag der Abnutzung, sogar die Angst.
08.14 Uhr. Ich ließ die Gurte einrasten und drückte die Sprechtaste.
» Kolibri Elf . Ich bin klar zum Zünden.«
Der Tower gab Antwort. »Das Gelände ist frei, Nummer Elf . Sie können zünden.«
Das Triebwerk sprang an, und der Kolibri hüllte sich in aufgewirbelten Sand und Staub. Im trüber gewordenen Licht kontrollierte ich den Schubmesser. Er zeigte, wie nicht anders zu erwarten, Schwarz .
» Kolibri Elf an Kolibri -Tower. Triebwerk gezündet, alle Anzeigen normal.«
In Erwartung der Startfreigabe lehnte ich mich fester in den federnden Sitz. Die Sekunden krochen dahin.
» Kolibri -Tower, was ist los? Warum geben Sie mich nicht frei?«
Der Tower meldete sich erneut. »Brechen Sie ab, Nummer Elf ! Triebwerk auf Null . Stafford sitzt wahrscheinlich fest.«
Wieder einmal hatte ich mehrere Wochen lang Zeit gehabt, mich auf dieses Ereignis vorzubereiten. Nichts war unwahrscheinlicher als sein Ausbleiben. Aber, auch diesmal wieder traf es mich wie ein betäubender Schlag. Mit plötzlich bleischwerer Hand stellte ich das Triebwerk ab. » Elf ist auf Null !« Ich rettete mich in die Disziplin. »Wie sicher ist es, daß er festsitzt?«
»Gerade kommt die Bestätigung, Sir. Tiefe Zwo-Fünf, Triebwerksversager.«
Stafford befand sich in einer scheußlichen Lage, aber noch brauchte man ihn nicht aufzugeben. Worauf es ankam, war: keinerlei Zeit zu verlieren.
»Roger, Kolibri -Tower. Nehmen Sie seine Position und benachrichtigen Sie das Flottenkommando. Und schicken Sie mir einen Transporter! Ich komme zu Ihnen.« Ein altes Sprichwort sagt: Ein Unglück kommt selten allein. Bisher hatten wir auf Espiritu Santu noch keine Gelegenheit gehabt, es auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu testen. An diesem Mittwoch war es soweit. Ich erfuhr es, als ich den Tower betrat.
Die beiden Controller schenkten mir keine Beachtung. Sie hatten alle Hände voll damit zu tun, um die benötigten Verbindungen herzustellen. Nach ein paar Sekunden schließlich sagte einer von ihnen über die Schulter hinweg zu mir:
»Gut, daß Sie kommen, Sir. Eben hat sich Vidal mit der Nummer Zwei gemeldet. Er hat ebenfalls Schwierigkeiten.«
Ich befreite mich von meiner Kombination. Ein Reißverschluß klemmte; ich zog und zerrte daran, bis er schließlich nachgab. Mein Gefühl, ersticken zu müssen, ließ nach. »Eins nach dem andern. Was ist mit Stafford?«
Der zweite Controller antwortete. »Die Aktion läuft. Wir haben seine Position, das U-Boot steht ziemlich in seiner Nähe. Aber er sinkt.«
»Meerestiefe?«
»Sechs-Sieben.«
»Sinkgeschwindigkeit?«
»Fünfundsiebzig Meter die Minute.«
»Wann kann das U-Boot bei ihm sein?«
»Frühestens in fünfzehn Minuten.«
Es stand schlecht um Stafford. In einer Viertelstunde würde er auf dreitausendvierhundertfünfunddreißig Meter durchgesunken sein. Ob das Material standhalten würde, war mehr als fraglich.
Ich legte die Tabelle fort und bezwang meine Aufregung. Was immer auch geschah, ich durfte den Überblick nicht verlieren. Alle Fäden liefen in meiner Hand zusammen. Ruhe und Selbstbeherrschung waren die besten Voraussetzungen für das Gelingen der Aktion.
»Nun zu Vidal! Ebenfalls Triebwerksversager auf Tiefe Zwo-Fünf?«
Für Vidal war der erste Controller zuständig.
»Nein, Sir. Er hat Schwierigkeiten beim Landeanflug. Im Augenblick kreist er irgendwo da oben. Auf dem Schirm müßten Sie ihn eigentlich sehen.«
Ich atmete auf. Wenigstens das Schlimmste blieb mir erspart. Eine Minute lang hatte ich tatsächlich befürchtet, Vidal befände sich in
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