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Marx fuer Eilige

Marx fuer Eilige

Titel: Marx fuer Eilige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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seiner Tätigkeit, bis er sich »in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, … seinen Geist ruiniert« (MEW Ergänzungsband 1, S. 514). Er entfremdet sich seinem menschlichen Wesen, in Gang kommt die »Entfremdung des Menschen |31| von dem Menschen« (S. 517). Der Gegenstand, den er produzierte, beherrscht ihn von nun an nicht nur, sondern formt ihn, indem er sich gegen ihn zurückwendet, nach seinem Bilde. Nun produziert die Produktion »den Menschen nicht nur als eine Ware, die Menschenware, … sie produziert ihn, dieser Bestimmung entsprechend als ein ebenso geistig wie körperlich entmenschtes Wesen«, als ein Unwesen, verkrüppelt zum Teilarbeiter.(S. 524) Doch nicht nur in der Produktion begegnen sich zunehmend entmenschte Menschen, die gesamte Gesellschaft wird geformt nach dem Warenprinzip. »Jeder Mensch spekuliert darauf, dem andern ein neues Bedürfnis zu schaffen, um ihn zu einem neuen Opfer zu zwingen, um ihn in eine neue Abhängigkeit zu versetzen und ihn zu einer neuen Weise des Genusses und damit des ökonomischen Ruins zu verleiten. Jeder sucht eine fremde Wesenskraft über den andern zu schaffen … Mit der Masse der Gegenstände wächst daher das Reich der fremden Wesen, denen der Mensch unterjocht ist, und jedes neue Produkt ist eine neue Potenz des wechselseitigen Betrugs und der wechselseitigen Ausplünderung. … Jedes Produkt ist ein Köder, womit man das Wesen des andern, sein Geld, an sich locken will, jedes wirkliche oder mögliche Bedürfnis ist eine Schwachheit, die die Fliege an die Leimstange heranführen wird.« (S. 547) Das Ideal dieser Gesellschaft ist der
» asketische
, aber
wuchernde
Geizhals und der
asketische
, aber
produzierende
Sklave«, ihr Gott das Geld: »Es kann dir das alles aneignen; es kann das alles kaufen; es ist das wahre Vermögen.« (S. 549) – »Alle Leidenschaft und alle Tätigkeit muß also untergehen in der Habsucht.« (S. 550) Wohlgemerkt: Schon in dieser frühen Schrift ist |32| die Anklage Marxens gegen den Kapitalismus keine gegen den Kapitalisten – sondern eine gegen die
Verhältnisse
, die das kapitalistische Privateigentum als
Prinzip
produziert. Der Eigentümer, der Kapitalbesitzer, ist aus dieser Perspektive selbst gewissermaßen Opfer, denn »diese
verkehrende
Macht« wendet sich gegen jedes Individuum, indem es »Treue in Untreue, die Liebe in Haß, den Haß in Liebe, die Tugend in Laster, das Laster in Tugend, den Knecht in den Herrn, den Herrn in den Knecht, den Blödsinn in Verstand, den Verstand in Blödsinn« (S. 566) verwandelt. In dieser buchstäblich
ver-rückten
Dingwelt ist auch das Haben, das Besitzen des Kapitaleigentümers »eigentlich ein Besessenwerden, Gehabtwerden, eine Knechtschaft im Dienste des Besitzes« (Marcuse) 16 .
    Indem der Mensch tätig ist und damit sein Wesen verwirklicht, produziert er das Monstrum der kapitalistischen Ding- und Sachenwelt, in dessen Gefangenschaft er gerät und das ihn seiner Menschlichkeit beraubt, bis er seines Wesens vollkommen entäußert ist. Dies ist die Frankenstein-Geschichte des jungen Marx, und dies, ließe sich mit Blick auf das aktuelle Unbehagen sagen, ist der Grund, warum auch die modernen Menschen in der kommerziellen Glitzer- und Warenwelt nicht recht glücklich werden. Doch Marx wäre nicht der scharfe Denker, hätte ihm nicht schon früh gedämmert, daß seine wuchtige Anklage auf einer Voraussetzung beruht, die nicht bewiesen ist, auf wankendem Boden steht. Und zwar jener, daß es ein abstraktes, gleichsam ursprüngliches, fixiertes und zementiertes
Wesen des Menschen
gibt. Nur wenn ein solches existiert, macht der Begriff der Entfremdung Sinn. Dieser Frage stellt er sich im Verlauf der kommenden eineinhalb |33| Jahre nach Erscheinen der
Pariser Manuskripte
. Eine Zeit, die nicht nur in intellektueller, sondern auch in praktischer Hinsicht eine bewegte sein sollte. Im Mai 1844 kommt – fast pünktlich zu Marx’ 26. Geburtstag – seine erste Tochter, Jenny, zur Welt, eineinhalb Jahre später die zweite Tochter, Laura. Dazwischen liegt der Ausweisungsbefehl aus Frankreich und die Übersiedlung nach Brüssel sowie eine gemeinsame Studienreise mit seinem Freund Friedrich Engels nach England.
    In diese Jahre fällt also, was Marx später im Vorwort »Zur Kritik der politischen Ökonomie« – gemeinsam mit Engels – die Abrechnung »mit unserem ehemaligen philosophischen Gewissen« (MEAW 2, S. 504) nennen sollte: also die wichtigste,

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