Marx fuer Eilige
des neuen Zeitalters – den gut qualifizierten Wissensarbeitern, den globalisierten Eliten, den gewandten, schicken und emsigen Bewohnern der Metropolen. Mit feurigen Anklagen gegen den Kapitalismus schafft man es heute spielend in die Bestsellerlisten.
Die Kinder des Wohlstandes selbst wollen mehr sein als bloße Agenten der kommerziellen Apparatur. Wobei auch die Philippika zum Produkt wird und die No-Global-Bewegung zum Zirkus, mit ihren Jung-Stars und Celebrities: |23| so brachte es die kanadische Autorin Naomi Klein zu beinahe ebensolcher globaler Prominenz wie ihre Namensschwester Naomi Campbell und landete einen Publikumsrenner mit ihrem Buch »No Logo«, in dem sie Konsumwut und Markenterror, Kommerz und die neuen aggressiven »Branding«-Methoden der Werbung anprangert.
Wer sich umblickt in den Shopping-Malls und Edelstahl-Kneipen, sieht wunschlose Depression. Mitten in allem Überfluß tut sich eine Leere auf, in der sich der Mensch verliert. Noch der bewußtloseste Zeitgenosse empfindet ein Unglück im Glück.
Gewiß: Wenn diese mehr untergründige als bewußte Unlust Worte findet, endet das oft im Kitsch, bestenfalls in Radical Chic. Daß
» der
Mensch« doch mehr sei als Unternehmer seiner selbst und Konsument, um seine Langeweile zu narkotisieren, ist eine ebenso simple wie allgemein anerkannte Gewißheit, und wer es vermag, die Diskrepanz zwischen diesem metaphysischen menschlichen
Wesen
und der Realität der gegenwärtigen menschlichen Existenz in einige flotte Zeilen zu zwingen, der kann mit einem tollen Einkommen rechnen. »Mensch ist Mensch«, heißt es in dem eingängigen Song, der den kundigen Barden Herbert Grönemeyer Anfang 2003 in die Charts brachte, »weil er lacht«, »und weil er hofft«, und »weil er lebt«. Lachen, hoffen, leben, lieben – Charakterrelikte, die sich gegen Kommerzialisierung sträuben und die sich eben darum bestens vermarkten lassen.
Daß es neben der global organisierten Globalisierungsgegnerschaft eine »stille, private und gerade deshalb ernstzunehmende Verweigerung« unter ihren Altersgenossen |24| gibt, hat die junge Schriftstellerin Juli Zeh unlängst in einem »Spiegel«-Essay mitgeteilt und damit viel Aufsehen erregt. Darin hat sie von bestens ausgebildeten jungen Leuten berichtet, denen glanzvolle Karrieren winken und die dennoch überlegen, »zum Jahresende zu kündigen«. Sie zitiert ihre Freunde mit den Worten, »alles Wichtige ist unkäuflich«, und kommt zu dem Schluß, die junge Generation, »als Vorbote einer künftigen Gesellschaft gern mikroskopiert, wendet sich entgegen den Prognosen nicht einem immer oberflächlicheren, konsumorientierten und sinnentleerten Dasein zu« 9 . Es gibt ein ganz offenkundiges Unbehagen in der Konsumkultur.
Daß ein schwieriges, ebenso sperriges wie verworrenes Buch wie »Empire« von Michael Hardt und Antonio Negri einen wahren Theorie-Hype auslöste, ist auch zuvorderst einmal Indiz dieses Unbehagens. In studentischen Proseminaren zwischen Berkeley und Madrid, Rio und Berlin-Mitte wurde die avancierte Analyse des globalisierten Kapitalismus zum Schlager des Jahrzehntes. Changierend zwischen Theoriemix und Erweckungsprosa, schildern die Autoren den Selbstlauf des globalen Systems, wie dieses sich »den gesamten Bereich des Lebens« 10 unterwirft und wie eine Revolte dagegen keimt – eine Revolte vieler rebellischer Subjekte, die nichts vereint, außer: daß sie nicht bloße Räder der kapitalistischen Maschinerie sein wollen.
Doch nicht nur in dieser seltsamen Mißstimmung, nicht nur in der stillen, angewiderten Abkehr der Verweigerer Juli Zehs, nicht nur in der von Zehntausenden gelesenen Beschwörung der Revolte, die Michael Hardt und Toni Negri beschreiben, wird eine menschliche Fülle gegen |25| die Leere der Geschäftswelt in Stellung gebracht. Der kritisierte neueste Kapitalismus will die vollentwickelte Persönlichkeit, mit Haut und Haaren, nicht nur den auf ein paar Handgriffe reduzierten Teilarbeiter der frühen Epochen dieser Produktionsweise. Die Leitfigur des Zeitalters ist der kreative, selbstverantwortliche Mitarbeiter, der Arbeitnehmer als Unternehmer seiner selbst, der seine schlummernden Potenzen entwickelt, zu seinem Besten – vor allem aber zum Wohl des Unternehmens. Selbstverwirklichung ist ihm keine Verheißung, sondern eine Pflicht.
Der glückliche Arbeitnehmer, beseelt von positiver Unruhe, fähig quer zu denken, leger, fröhlich und unrasiert, ist die Idealfigur aller modernen
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