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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CHRISTINE GRÄN
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auszuspielen ist die billigste Form der Kommunikation. Sie zu besitzen und nicht zu gebrauchen, das ist die Kunst, vor der sie Respekt hat. »Ich esse nicht mit jedem, Johannes. Und ich habe keine Angst vor Ihnen.«
    Er grinst immer noch. »Doch, schon. Auf dem Balkon draußen dachten Sie einen Augenblick lang, ich würde Sie runterstoßen. Sehe ich aus wie ein Mörder?«
    »Wie sehen die aus? Wie einer der illustren Tischgäste von Rosi Stark? Wenn ich Sie wäre, würde ich alle Beteiligten nach einem Alibi für die Tatzeit befragen. Ich könnte schwören, dass es ein Erpressungsversuch war, der Marilyn das Leben gekostet hat.«
    Der Bulle sieht Anna jetzt abschätzend an. Er hält den Kopf schief und zupft an seinem Ohrläppchen. Seine Haare sind weiß und, so denkt Anna, von einem Friseur geschnitten, der eigentlich Vertreter für Rasenmäher ist. »Das tun wir, meine Liebe. Es ist unser Job, und in Ihrem werden Sie es nicht weit bringen, wenn Sie sich nur auf ihre Intuition verlassen. Das ist nur der Speck. Mäuse fängt man anders.«
    Gott, wie sie es hasst, wenn man sie auf diesem Niveau kritisiert. Privatdetektivin zu sein ist nicht der gesellschaftliche Rang, den man bewundernd von unten betrachtet. Sie wäre auch lieber Chefredakteurin geworden, umgeben von Schmeichlern und Speichelleckern. Aber nein, vielleicht lieber doch nicht. Anna hat immer daran geglaubt, dass das Leben in dünner Luft angenehm, aber sehr ungemütlich ist. Charakterverformend. Alles will sie sich erlauben, aber nicht das: eitle Selbstgerechtigkeit. Und so ganz frei davon ist der Bulle nicht. Aber ausnahmsweise hält sie ihren Mund, sieht ihn mit einem Blick an, den sie für verführerisch hält, und sagt: »Da haben Sie Recht. Aber Sie haben auch mehr Ermittlungsspielraum als ich. Und wer hat kein Alibi?«
    »Alle haben eines – bis auf den Witwer. Der war allein zu Haus. Der Schauspieler und die Pelzer geben sich gegenseitig eines. Sie waren zusammen joggen. Aber das sollte ich Ihnen gar nicht erzählen. Helfen Sie mir nun, das Mädchen zu finden – mit Intuition und allem, was Sie wissen und mir nicht gesagt haben?«
    Anna nickt. Zögernd, damit er nicht glaubt, dass sie sich von ihm nötigen lässt. Als er ihr seine Karte gibt, steht darauf nur sein Name und die Nummer seines Mobiltelefons. Keine Berufsbezeichnung, keine Adresse: Das ist zumindest ungewöhnlich. Seine Polizeimarke hat er ihr auch nicht gezeigt. Und jetzt grinst er wieder so, als könne er ihre misstrauischen Gedanken lesen, der fette Mann, der keinem ihrer Bullentypen entspricht. Und manchmal wünscht sie sich doch, dass sie von anderen gefürchtet würde, und das hat nichts mit Selbstgerechtigkeit zu tun.
    Anna steckt seine Karte ein und kritzelt ihre Handynummer auf ein Stück Papier. Dann steht sie auf und sagt: »Ich melde mich, wenn ich etwas weiß.«
    Er hat sich erhoben und öffnet ihr höflich die Tür. Findet vor ihr den Lichtschalter im Flur und wartet, bis sie in den Lift steigt. Sie dreht sich nicht um. Eigentlich wollte sie zu Fuß gehen, aber einmal will sie darauf vertrauen, dass etwas funktioniert. Zum Beispiel dieser winzige Lift in diesem schrecklichen Haus, in dem sie sich fühlt wie in einer Folterkammer.
    Er gleitet mit sanftem Surren nach unten, während Anna die Graffiti an den Innenwänden studiert. Gott ist nicht tot, er sucht nur einen Parkplatz, ist der einzige Satz, der ihr nicht obszön erscheint.

18. Kapitel
     
     
     
    »Ich könnte genauso gut eine Münze werfen«, sagt Sibylle, während sie zwei Portionen Gulaschsuppe auf den Tisch stellt.
    »Was meint sie?«, fragt Fjodor, und bevor Anna antworten kann, zischt Sibylle: »Davon verstehen Männer nichts. Die können nur vögeln.«
    »Ich singe«, sagt Fjodor, »und ich bin impotent. Wovon redest du also?«
    »Es sind die Frauen«, ruft ein Mann von der Bar, »und keine soll sich wundern, dass es so viel Impotente und Schwule gibt.«
    »Hast du was gegen Schwule?« Freddy, der hinter der Bar steht und wahnsinnig schlechter Laune ist, weil ihn sein Boxer mit einem Dichter betrogen hat, funkelt den Gast drohend an.
    Sibylle beginnt zu weinen, und Anna nimmt sie in den Arm und streichelt ihr beruhigend den Rücken. Schwangere, schwermütige Schwule und sexlose Sänger sind eine explosive Mischung, und wenn sie jetzt murmelt, dass alles gut wird, ist dies der billigste Trost, der ihr einfällt.
    »Die Suppe wird kalt«, sagt Fjodor, und aus Gründen, die keiner weiß, entspannt dieser

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