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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CHRISTINE GRÄN
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eigentlich gehen.«
    Er trank aus der Flasche, doch es wirkte eher anmutig als vulgär. Anna möchte alle positiven Eindrücke löschen und ihn verabscheuen. Es gelingt ihr nicht. Vielleicht ist es das Lächeln oder die schöne Hässlichkeit seines Gesichts.
    Johannes Täufer gehört zu den Männern, die einen Raum ausfällen, sobald sie ihn betreten. Oder so: Die Anwesenden haben das Gefühl, schrumpfen zu müssen, um ihm Platz zu machen. Sie hätte nicht so viel Vodka trinken sollen.
    In seiner Gegenwart braucht sie einen klaren Kopf, und davon kann nicht die Rede sein.
    Der Bulle lehnt gegen die Tür ihres amerikanischen Kühlschranks. Er verdeckt ihn beinahe. »Was halten Sie von Benno Mackeroth?«
    »Was hat er mit Marilyn zu tun?«, fragt Anna zurück.
    »Mann liebt Frau, die übliche Geschichte, meine Liebe. Tun Sie nicht so, als ob Sie jenseits der großen Gefühle leben.«
    Schon viel zu lange, denkt Anna und sagt: »Sie war so unbeschreiblich schön, dass sich vermutlich jeder Mann in sie verliebt hat. Aber warum sollte Mackeroth sie umbringen? Außerdem hat er ein Alibi, er war mit Hanni Pelzer joggen. Das haben Sie doch gesagt.«
    »Alibis, an denen nur zwei Leute beteiligt sind, taugen nichts. Außerdem liefen die beiden ganz zufällig in der Nähe der Marx-Allee. Ich habe schon lange aufgehört, an Zufälle zu glauben. Und an all die Lügen, die mir erzählt werden. Hanni Pelzer hat Jacob Lenz überredet, ihrem geliebten Benno das Videoband zu geben. So sieht das aus: Alle sind miteinander verbandelt in Liebe oder Hass oder gemeiner Erpressung. Das Pack arrangiert sich. Nur unsere polnische Märchenprinzessin ist auf der Strecke geblieben. Sie hat das Spiel nicht verstanden, weil sie immer mehr wollte, als die anderen zu geben bereit waren.«
    Sein Gesicht verändert sich, wenn er über sie spricht, denkt Anna. Es wird härter, undurchsichtiger. Ihren fragenden Blick erwidert er mit einem Zwinkern.
    »In meiner zarteren Jugend war ich Kommunist, aber geblieben ist nur eine gewisse Abscheu gegen die arrogante Bagage mit ihrer tiefen Angst, das Gold wieder zu verlieren, für das sie ihre Seele verkauft haben. Es zu besitzen und zu wissen, dass es nichts wert ist: Das ist die große Kunst.«
    Er ist ein Mann, der mit Worten verführt, denkt Anna. Vor allem aber daran, dass sie ihn unbedingt loswerden muss, bevor Fjodor anruft. »Was wollen Sie von mir?«
    Der Bullenblick ist beinahe zärtlich: »Einiges, aber zunächst würde ich Sie gern auf Benno Mackeroth ansetzen. Er weiß, dass wir Joy noch nicht gefunden haben. Aber Sie könnten doch zu ihm gehen und ihm sagen, dass Sie wissen, wo das Mädchen ist. Die große Frage ist doch, was ihm unsere Freundin wert ist. Wenn sie etwas weiß, wovon ich ausgehe, wird ihm die Information einiges wert sein. Und dann setze ich ihn unter Druck. Er ist keiner, der lange Widerstand leistet, wenn man ihn einmal in die Enge getrieben hat. Und ich bin, mit Verlaub, ein erbarmungsloser Jäger.«
    Anna glaubt ihm das. Aber die Geschichte gefällt ihr nicht. Sein Drehbuch, und sie fragt sich immer noch, wo das Motiv liegen könnte. »Warum?«
    »Weil er besessen von ihr war. Und sie eine gottvolle Hure. Vielleicht hat sie auch versucht, ihn zu erpressen. Sie hat schnell gelernt, dass in dieser Stadt Wissen Macht bedeutet und Macht Geld. Agnes Pelcic war ein gutes Mädchen in schlechter Gesellschaft. Wollen Sie mir helfen, Anna?«
    Und Anna sagt, was böse Mädchen sagen: »Was kriege ich dafür?«
    Der Bulle lacht kurz auf, als ob er diese Frage längst erwartet und für sich beantwortet hat. Anna wünscht sich, sie könnte diesen Satz zurücknehmen. Nein wäre sehr viel besser gewesen. Sie wird es nie lernen.
    »Sie können es sich aussuchen«, sagt der Täufer. »Entweder einen Stundensatz von fünfzig Euro… oder einen Vorsprung.«

22. Kapitel
     
     
     
    Das Klingeln des Telefons weckt Anna aus Albträumen, in denen sie mit Harry und Lily in einer Tiefkühltruhe saß, in der tropische Temperaturen herrschten. Schweiß liegt auf ihrer Haut, als sie mit der rechten Hand nach dem Hörer tastet. Vergeblich, denn das Telefon steht auf dem Schreibtisch, und sie liegt auf der Couch, wo sie irgendwann über der Frage eingeschlafen war, was zum Teufel der Bulle mit Vorsprung gemeint hatte.
    Der Aschenbecher, den sie abends nicht mehr geleert hatte, fällt zu Boden, und Anna springt auf und ist mit drei Schritten am Schreibtisch, dort, wo alles begonnen hat, als sie ihre Hand

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