Bevor der Abend kommt
1
Der Morgen begann wie so oft mit einem Streit. Als es später wichtig wurde, sich an den genauen Ablauf der Ereignisse zu erinnern und daran, wie alles so mühelos außer Kontrolle geraten war, sollte Cindy angestrengt versuchen, sich zu vergegenwärtigen, worüber genau sie und ihre ältere Tochter gestritten hatten. Den Hund, die Dusche, die bevorstehende Hochzeit ihrer Nichte – alles würde völlig belanglos klingen, nicht wert, dass man laut wurde und erhöhten Blutdruck bekam. Ein Schwall von Worten, der über ihre Köpfe hinwegwehte wie ein plötzlicher Sturm, Schäden verursachte, die Fundamente aber intakt ließ. Jedenfalls bestimmt nichts Außergewöhnliches. Der Beginn eines normalen Tages. Zumindest hatte es da noch so ausgesehen.
(Regieanweisung: Cindy in dem schmuddeligen grünblauen Frottébademantel, den sie sich gekauft hatte, kurz nachdem Tom gegangen war, kommt aus ihrem Schlafzimmer und trocknet sich ihr kinnlanges, braunes Haar ab; Julia am anderen Ende des Flures im ersten Stock, ein gelb-weiß gestreiftes Handtuch um den Körper gewickelt, läuft vor der Badezimmertür zwischen ihrem Zimmer und dem ihrer Schwester auf und ab, Ungeduld brodelt aus ihrem gertenschlanken, ein Meter achtzig langen Körper wie Lava aus einem Vulkan; Elvis, der permanent struppige, apricotfarbene Wheaten-Terrier, den Julia bei ihrem Wiedereinzug zu Hause vor knapp einem Jahr mitgebracht hat, bellt und hüpft in die Luft schnappend neben ihr hoch.)
»Heather, was in Gottes Namen machst du da drinnen?« Julia
hämmerte an die Badezimmertür, erhielt keine Antwort und hämmerte erneut.
»Hört sich an, als würde sie duschen«, bemerkte Cindy und bereute noch im selben Moment, sich überhaupt eingemischt zu haben.
Julia starrte ihre Munter unter dem Mob ihrer aschblonden Haare hinweg an, die sie jeden Morgen mühsam glatt föhnte, um jede Andeutung ihrer natürlichen Locken zu tilgen. »Offensichtlich.«
Cindy staunte, dass ein Wort so viel Gehässigkeit transportieren, so viel Verachtung mitteilen konnte. »Ich bin sicher, sie ist gleich fertig.«
»Sie ist schon seit einer halben Stunde da drinnen. Und für mich ist dann kein heißes Wasser mehr übrig.«
»Es ist bestimmt noch jede Menge heißes Wasser da.«
Julia schlug mit der Faust ein drittes Mal gegen die Badezimmertür.
»Hör auf, Julia. Wenn du nicht aufpasst, machst du sie noch kaputt.«
»Ja, klar. Als ob ich eine Tür einschlagen könnte.« Wie zum Beweis hämmerte sie erneut gegen die Tür.
»Julia …«
»Mutter …«
Patt, dachte Cindy. Wie üblich. So war es zwischen ihnen beiden gewesen, seit Julia zwei Jahre alt war und sich gesträubt hatte, das weiße Rüschenkleid anzuziehen, dass Cindy ihr zum Geburtstag gekauft hatte. Selbst nachdem Cindy ihre Niederlage eingestanden und ihr erklärt hatte, sie könne anziehen, was sie wolle, hatte die störrische Kleine sich geweigert, an ihrer eigenen Party teilzunehmen.
Mittlerweile waren neunzehn Jahre vergangen, Julia war einundzwanzig, und nichts hatte sich geändert.
»Bist du mit dem Hund draußen gewesen?«, fragte Cindy.
»Wann hätte ich denn das machen sollen?«
Cindy gab sich Mühe, den sarkastischen Unterton in der Stimme ihrer Tochter zu überhören. »Nach dem Aufstehen, so wie es sich gehört.«
Julia verdrehte ihre großen grünen Augen zur Decke.
»Wir hatten eine Abmachung«, erinnerte Cindy sie.
»Ich gehe später mit ihm raus.«
»Er ist schon die ganze Nacht hier drinnen eingesperrt. Wahrscheinlich muss er dringend raus.«
»Er kommt schon klar.«
»Ich will keine weiteren Unfälle.«
»Dann geh du doch mit ihm«, fauchte Julia. »Ich bin nicht gerade passend gekleidet für einen Spaziergang.«
»Sei nicht so stur.«
»Sei nicht so anal.«
»Julia …«
»Mutter …«
Patt.
Julia schlug mit der flachen Hand gegen die Badezimmertür. »Okay, Schluss jetzt. Alle raus aus dem Becken.«
Cindy empfand die Schwingung von Julias Hand auf der Tür wie eine Ohrfeige. Sie fasste sich an die Wange und spürte das Brennen. »Das reicht, Julia. Sie kann dich nicht hören.«
»Das macht sie absichtlich. Sie weiß, dass ich heute ein wichtiges Casting habe.«
»Du hast ein Casting.«
»Für Michael Kinsolvings neuen Film. Er ist wegen des Filmfestivals in der Stadt und hat sich zu einem Casting für junge Talente aus der Gegend bereit erklärt.«
»Das ist ja toll.«
»Dad hat es arrangiert.«
Cindy zwang sich zu einem Lächeln mit zusammengebissenen
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