MASKENBALL UM MITTERNACHT
was Rang und Namen hatte, Lady Odelias Fest besuchen würde.
Unter den Gästen, die von ihren Landsitzen angereist waren, befanden sich auch der Duke of Rochford und seine Schwester Lady Calandra in Begleitung ihrer Großmutter, der verwitweten Duchess of Rochford. Der Duke, einer der wenigen, der es gewagt hätte, die Einladung abzulehnen, war von seiner Großmutter streng gemaßregelt worden. Er sei schließlich Lady Odelias Großneffe und habe sich als Gentleman und Erbe des Titels an familiäre Verpflichtungen gebunden zu fühlen. Im Übrigen hatte er geschäftliche Angelegenheiten in London zu erledigen.
Die Dowager Duchess of Rochford, die der älteren Schwester ihres verstorbenen Gemahls wenig Sympathien entgegenbrachte, war der Einladung gefolgt, da Lady Pencully zu den wenigen noch lebenden Angehörigen ihrer Generation zählte – wobei die Duchess gern betonte, Lady Pencully sei um einige Jahre älter als sie selbst. Außerdem zählte sie ihre Schwägerin zu den wenigen Damen der Gesellschaft, die sie als wirklich ebenbürtig erachtete. Lady Odelia gehörte schlicht und einfach zu ihren Kreisen, auch wenn die Duchess gelegentlich Odelias schockierend schlechte Manieren beklagte.
Von den drei Fahrgästen in der Karosse, die sich in der langen Wagenschlange im Schneckentempo dem Portal des eleganten Herrenhauses in Cavendish Crescent näherte, war nur Lady Calandra von echter Vorfreude erfüllt.
Mit ihren dreiundzwanzig Jahren war Callie, wie sie von Freunden und der Familie genannt wurde, bereits vor fünf Saisons in die Gesellschaft eingeführt worden. Ein Londoner Ball zu Ehren ihrer hochbetagten Großtante hätte daher nicht ohne Weiteres besonderen Reiz auf sie ausgeübt. Allerdings hatte sie drei endlos lange Monate auf dem Familiensitz Marcastle zugebracht – die sich noch quälender in die Länge zogen wegen der ungewöhnlich häufigen trüben Regentage und der ständigen Gegenwart ihrer Großmutter.
Für gewöhnlich pflegte die Dowager Duchess einen Großteil des Jahres in ihrem Haus in Bath zu verbringen, wo sie über die betulich biedere und ehrenwerte Provinzgesellschaft herrschte. Nur gelegentlich, vorwiegend während der Saison, reiste sie nach London, um darüber zu wachen, dass ihre Enkelin sich sittsam benahm.
Gegen Ende der letzten Saison hatte sie indes beschlossen, es sei an der Zeit, dass Lady Calandra sich vermähle, und es sich zur Hauptaufgabe gemacht, eine Verlobung ihrer Enkelin zu arrangieren – selbstredend mit einem untadeligen jungen Aristokraten. Aus diesem Grund hatte sie auf ihre alljährliche Winterkur in Bath verzichtet und die Unbequemlichkeiten des alten zugigen Familiensitzes in Norfolk auf sich genommen.
Callie war also in den letzten Monaten nicht nur wegen des unerfreulichen Wetters in dem alten Gemäuer eingesperrt, sondern auch gezwungen gewesen, sich die unablässigen Ermahnungen der alten Dame anzuhören. Vorträge über sittsames Betragen und ihre Pflicht, sich tunlichst bald zu vermählen, hatten ebenso dazugehört wie etliche Vorschläge, welchen Kandidaten aus den Kreisen der Hocharistokratie sie ihr empfehlen würde.
Es war also nur verständlich, warum die Vorfreude auf einen festlichen Ball Callie in Hochstimmung versetzte. Sie fieberte dem Vergnügen entgegen, zu den Klängen schwungvoller Musik über das Parkett zu wirbeln und mit Freundinnen zu plaudern und zu scherzen. Zudem war Lady Odelias großes Fest als Maskenball avisiert, was Callies Vorfreude noch steigerte und dem Ball in ihren Augen ein gewisses geheimnisvolles Flair verlieh.
Mit großer Begeisterung hatte sie sich auf die Wahl eines Kostüms gestürzt und sich nach langem Überlegen und Beratungen mit ihrer Schneiderin für das Gewand einer Dame am Hofe Heinrichs VIII. entschieden. Die eng anliegende Tudorhaube rahmte vorteilhaft ihr fein geschnittenes ovales Antlitz. Das historische Kostüm aus tiefrotem Samt bildete einen vortrefflichen Kontrast zu ihren schwarz glänzenden Locken und ihrem zarten Teint und war ihr überdies eine willkommene Abwechslung zu den üblichen hellen Farben, die einer unverheirateten jungen Dame der Gesellschaft zugebilligt wurden.
Callie warf ihrem Bruder einen Blick zu. Rochford hatte, wie nicht anders zu erwarten, jegliche Kostümierung abgelehnt. Er trug einen eleganten schwarzen Abendanzug und eine blendend weiße, makellos geschlungene Halsbinde. Sein einziges Zugeständnis an die Kleiderordnung des Abends bestand aus einer schwarzen Halbmaske.
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