Maskenball
Schließlich hatte er ja auch noch seine Bluesband, mit der er regelmäßig probte.
Frank beobachtete über den Rand seiner aufgeschlagenen Westdeutschen Zeitung hinweg mit hochgezogenen Augenbrauen und zunächst schweigend seinen Freund und Kollegen. Als er aber an seinen Beinen die Kälte spürte, die durch das geöffnete Fenster in ihr Büro beim KK 11 eindrang, wurde es ihm dann doch zu bunt. »Hey, du altes Frettchen, kannst du nicht wenigstens heute mal darauf verzichten, das Fenster aufzureißen, wenn du kommst? Du willst wohl, dass ich mich doch noch krankschreiben lasse. Mann, mach zu, es wird kalt!« Frank ließ die Zeitung auf den Schreibtisch fallen und sah Ecki schief von der Seite an. Wie zum Beweis seiner angegriffenen Gesundheit schickte Frank seiner Beschwerde ein kurzes bellendes Husten hinterher und zog dabei vorwurfsvoll die Nase hoch.
»Meine Güte, wie bist du denn wieder drauf? Habt ihr am Wochenende euren Auftritt vergeigt?« Ecki feixte. Die beiden kannten sich bereits seit vielen Jahren und waren damals aus dem Wach- und Wechseldienst zum KK 11 gekommen. Ungezählte Stunden hatten sie sich in ihrem Arbeitsleben schon gemeinsam in ungemütlichen und kalten Dienstwagen herumgedrückt. Um sich die oft elend langweilige Zeit der Observationen wenigstens ein bisschen zu verkürzen und angenehmer zu machen, hatten sie sich extra einen CD-Player in den Dienstwagen montiert, über den sie dann abwechselnd, peinlich genau und gerecht verteilt, Volksmusik und Blues hörten. Das war neben der Zerstreuung zugegebenermaßen für beide Seiten manchmal eine arge Tortur, aber eine andere Lösung für ihren mehr als unterschiedlichen Musikgeschmack war ihnen bisher nicht eingefallen. Aber immer noch besser, als stumm und gelangweilt aus dem Autofenster irgendwelche Wohnungen oder Fabrikhallen beobachten zu müssen. Außerdem war der natürlich illegal installierte CD-Player so etwas wie ihr gemeinsamer Protest gegen die allzu bürokratischen Kollegen. Vor allem in der Gestalt von Horst Laumen versuchten die, ständig und ohne Fantasie, dafür aber mit Akribie, die für alle gültigen Dienstvorschriften durchzusetzen.
»Das ist doch schon krankhaft pathologisch, dieser Frischluftwahn«, brummte Frank und kramte in seiner Schreibtischschublade. »Irgendwo muss ich doch noch Kamillentee haben. Was trägst du eigentlich für ein T-Shirt? Orange! Und dazu die passende Butterbrotdose. Sehr chic. Ist das eigentlich Butter oder Gel in deinen Haaren?«
»Lenkt jedenfalls vom Gesicht ab.« Michael »Ecki« Eckers war nicht gekränkt. Im Gegenteil. Er sah amüsiert zu, wie Frank auf seinem Stuhl saß, gebückt in den Schubfächern seines Schreibtisches kramte und dabei ächzend eine gelesene Bluesnews sowie mehrere blaue leere Plastikbehälter für Bluesharps auf den Tisch warf. Ecki schüttelte den Kopf. Frank konnte schon merkwürdig sein, wenn er krank war, oder meinte, ernsthaft krank zu sein. »Hypochonder« wäre vielleicht zu viel gesagt, aber weit weg davon war Frank sicher nicht. Eckis Grinsen wurde immer breiter, als er die Ansammlung von unterschiedlichen Pillenpackungen, einem Streifen Lutschtabletten, großen und kleinen braunen Glasfläschchen und Tempotaschentücher-Packungen sah, die Frank nach und nach ans Tageslicht beförderte und wie eine Klagemauer auf der Grenze zum Schreibtisch seines Kollegen aufbaute.
»Was willst du mir jetzt damit sagen? Dass ich in den nächsten 48 Stunden mit deinem Ableben rechnen muss, weil du für einen Augenblick, und ich betone – möglicherweise einen ganz kurzen Augenblick – im Durchzug gesessen haben könntest? Soll ich schon mal nach dem Priester schicken?«
»Spinn jetzt nicht rum, ich werde echt krank. Eine Grippe. Das ist bei diesem Wetter auch kein Wunder. Ich hätte wirklich mit mehr Verständnis für meine Gesundheit gerechnet. Mit einer Erkältung oder Grippe ist nicht zu spaßen, hat mein Hausarzt gesagt. Die Medikamente brauche ich alle.« Frank hob ein Röllchen mit Tabletten hoch. »Hier, die sind gegen Kopfschmerzen. Ich habe das Gefühl, gegen eine Wand gerannt zu sein. Ich hasse es, krank zu sein.«
Ecki winkte ab. »Apropos. Ich habe uns eine Teekanne mitgebracht. Marion meint, wir könnten uns doch in Zukunft Tee aufbrühen, statt Kaffee zu kochen. Ist auf jeden Fall gesünder. Grüner Tee. Ist gut gegen fast alles.« Ecki packte den Glasballon und einen Minutenwecker aus der Tüte. »Mit dem Wecker können wir genau bestimmen, wie lange
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