Maskenball
seines schon einigermaßen bier- und weinseligen Publikums zur kurzen Programmpause aus. Entlang des ohnehin schon engen Mittelgangs standen viele der bunt kostümierten Jecken mit hitzig geröteten Gesichtern auf ihren Stühlen, um ihrem Sitzungspräsidenten Paul Lienen und seinem Gefolge mit Zurufen, Luftschlangenwerfen und Kusshänden närrisch zu huldigen. Würdig und strahlend nahm der Narrenrat den Applaus seiner Untertanen entgegen. Kleine Sträußchen flogen durch das seit Wochen ausverkaufte Zelt. Man sah es ihnen leicht an: Die Wölese waren zufrieden. Das monatelange Proben hatte sich wieder einmal gelohnt. Schon die ersten Sketche und Büttenreden waren vom dankbaren Publikum mit ausgelassen skandierten »Raketen« belohnt worden. Besonders ihr neuer Sessionsschlager Heut’ Nacht am alten Lambert war zu einem echten Nettetaler Karnevalshit geworden, der auch auf den Sitzungen anderer Gesellschaften gerne gesungen wurde.
Der Geruch von warmem Schweiß, verschüttetem Bier und Parfüm lag schwer über den langen Tischreihen. Zusammen mit dem immer wieder aufflackernden Gelächter von bunten Clowns, verwegenen Cowboys und Indianergruppen, traurigen Vogelscheuchen, lasziven und kokett flirtenden Charleston-Diven, stolzen Musketieren, blaublütigen Schotten, den ungeduldigen Rufen nach der völlig überlasteten Bedienung, dem stakkatoartigen Klopfen kleiner Feigling-Fläschchen auf den Tischplatten, den lauten Trinksprüchen der als Zwerge verkleideten Landjugendabteilung, dem Qualm ungezählter Zigaretten und Zigarren mischten sich die Gerüche zu einer fast greifbaren wabernden Masse. Es war laut, und die Luft im beheizten Festzelt am Quellensee war zum Schneiden dick.
Carina Bommels wartete an der Stirnseite des in Blau und Gelb dekorierten Aluminiumzeltes, um sich an der breiten Theke ein Bier zu bestellen. Sie hatte wie jedes Jahr ihr weites Harlekin-Kostüm aus bunten Rauten und einem breiten weißen Kragen übergezogen, um ihre wärmende wollene Unterwäsche kaschieren zu können. Auf dem Kopf trug sie einen passenden roten Kegelhut, den sie mit einem dünnen Gummibändchen an ihrem Kinn befestigt hatte. Ihr kurzgeschnittenes Haar war kaum zu sehen. Carina Bommels schwitzte und hatte Durst. Und Kopfschmerzen. Sie spürte schon seit Tagen die Anzeichen einer nahenden Grippe, hatte sich aber trotzdem mit ihren Freundinnen zur Wölese-Sitzung verabredet. Von Karneval hielt sie eigentlich nicht viel. Schon gar nicht vom kommenden Altweibertag. Aber eine Sitzung der Kolping-Spielschar wollte sie auch in diesem Jahr auf keinen Fall verpassen.
Die Band um Jürgen Ucher, den sie vom Tischtennis her kannte, hatte dem Publikum schon vor der eigentlichen Sitzung mit Wölese- und anderen Schlagern mächtig eingeheizt. Gerade spielten Black Pudding das Lied vom Sultan. Carina Bommels konnte sich nur mit Mühe aus den Händen eines Teufels befreien, der sie in die Polonaise ziehen wollte, die nahe am Getränkestand vorbeizog. Sie lächelte gequält, denn sie mochte es überhaupt nicht, wenn ihr die Selbstkontrolle zu entgleiten drohte. Der groß gewachsene Teufel wackelte nur missmutig mit seinem zotteligen behörnten Kopf, als er merkte, dass er trotz Spieß und gespielt grimmiger Miene ihrer Gegenwehr nichts entgegenzusetzen hatte. Dafür war eine Maus mit langem schwarzen Schwanz neben Carina Bommels umso williger. Bereitwillig ließ sie sich um die Hüften fassen und in die närrische Reihe ziehen, deren Spitze schon wieder Richtung Bühne unterwegs war. Carina Bommels beobachtete mit missfallendem Blick, wie die schlanke Frau im hautengen grauen Mauskostüm übermütig ihre Hände auf die Schultern ihres Vordermanns legte, der als chinesischer Mandarin, in originalgetreues dunkelblaues Tuch gekleidet, lauthals den Refrain des Höhner-Liedes mitsang und ihr ausgelassen zuwinkte. Wie konnte man nur so eng und offenkundig unbeschwert an wildfremde Menschen heranrücken? Carina Bommels würde es nie verstehen. Karneval war wirklich nicht ihre Welt.
Die Buchhalterin eines Vergaserherstellers in Lobberich drehte sich wieder Richtung Theke. Es war um sie herum noch voller geworden. Scheinbar der halbe Saal drängelte sich durstig neben und hinter ihr. Als sie endlich an der Reihe war, hielt sie dem Zapfer ihre Biermarke hin. »Gib mir doch lieber ein Wasser, Hubert. Ich hab Kopfschmerzen.« Der kleine bärtige Mann mit dem mächtigen Bierbauch wischte sich eine Hand an seiner Schürze ab und beugte sich weit vor.
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